Samstag, 17. März 2012
Recht und Politik vor der NRW-Wahl 2012
Die bisherige Landesregierung in NRW (SPD + Grüne) ist als Minderheitsregierung gestartet und jetzt am Ende. Hintergrund: Die Oppositionsparteien im Landtag wollten wohl über einzelne Positionen im Haushaltsentwurf 2012 feilschen und stimmten bei der Abstimmung in der 2. von 3 Lesungen gegen einige Einzelpläne. Das wurde zu einem unüberwindlichen Hindernis erklärt - die Regierung sei von Verfassungs wegen gescheitert:
Am Montag trafen sich in der Landtagsverwaltung zwei Juristen und diskutierten über den Fortbestand der Regierung. ... Normalerweise werden in Fragen über den Fortbestand einer Regierung Professoren herangezogen, die über Wochen teure Gutachten erstellen, die dann mit weiteren Gegengutachten verglichen werden. In Düsseldorf entschieden keine Professoren, sondern zwei Juristen, die sich in ihrer Freizeit gerne im Kreistag engagieren und ansonsten wenig aufgefallen sind.

Hans-Josef Thesling hatte am Montag die Idee, doch mal nachzuprüfen, ob der Haushalt, wenn er in zweiter Lesung scheitert, nicht auch in Gänze gescheitert ist. Referatsleiter Olaf Schade fertigte einen kleinen Vermerk an, und keine 48 Stunden später war die Regierung am Ende. ...

Der Satz, der die Regierung sprengte, lautet: 'Wegen der Besonderheiten des Haushaltsplans kann die Ablehnung eines Einzelplans in der zweiten Lesung zum Scheitern des Haushalts führen, die in der dritten Lesung durch den Landtag nicht mehr korrigiert werden kann.' Zwar sieht die Geschäftsordnung des Landtags drei Lesungen für den Haushalt vor. Doch in die letzte Abstimmungsetappe - so die Logik des Vermerks - gelangt nur, was zuvor bereits beschlossen wurde. Ein Einzelplan - hier ging es um den Etat des Innenministeriums -, der in der zweiten Lesung abgelehnt werde, könne am Ende nicht wiederbelebt werden. Und ohne den Einzelplan gebe es eben keinen beschlussfähigen Gesamthaushalt; wird ein einzelner Baustein herausgebrochen, dann stürzt das gesamte Gebäude ein.
...
(Quelle:S. 5 der Papierausgabe der Süddeutschen Zeitung online)
Der studierte Jurist liest es und wundert sich. Die Einzelheiten der Haushaltsgesetzgebung (z.B. wie viele Lesungen nötig sind) stehen normaler Weise nicht in einer Landesverfassung.

Das Grundgesetz beispielsweise regelt in Art. 76 detailiert, wer wie einen Gesetzesvorschlag machen kann und stellt dann zur Beschlussfassung über einen Vorschlag schlicht fest:
Art. 77 GG
(1) Die Bundesgesetze werden vom Bundestage beschlossen. Sie sind nach ihrer Annahme durch den Präsidenten des Bundestages unverzüglich dem Bundesrate zuzuleiten.
(Quelle: Art 77 GG Gesetze im Internet)
Fertig ist das Gesetz: Der Bundestag beschließt, der Bundesrat kann was dazu sagen, und der Bundespräsident unterschreibt irgendwann am Ende.

Wie der Haushalt beschlossen werden muss, steht also weder im Grundgesetz noch in der Landesverfassung Nordrhein-Westfalens. In der Landesverfassung NRW ist die Gesetzgebung noch einfacher als im Grundgesetz geregelt:
Artikel 66
Die Gesetze werden vom Landtag beschlossen.
(Quelle: Art. 66 Landesverfassung)
Der Landtag beschließt ein Gesetz. Punkt.

Was den Juristen des Landtags wohl den Hintergund lieferte, ist die Geschäftsordnung des Landtags von NRW, hier vor allem "§ 68 Lesungs- und Beratungsverfahren"
(1) Gesetzentwürfe und Staatsverträge werden in zwei Lesungen beraten, alle anderen Beratungsgegenstände sollen unbeschadet der nach § 79 möglichen Ausnahmen in einer Beratung erledigt werden.

(2) Gesetzentwürfe zur Änderung der Verfassung (Artikel 69 Landesverfassung), zum Haushaltsgesetz, Gemeindefinanzierungsgesetz sowie zu Nachträgen hierzu, werden in drei Lesungen beraten. Im Übrigen findet eine dritte Lesung statt auf Antrag einer Fraktion oder eines Viertels der Mitglieder des Landtags (§ 73 Absatz 1).

(3) Die Abstimmung über Haushaltsvorlagen der Landesregierung ist erst zulässig, wenn ihre Beratung im Haushalts- und Finanzausschuss abgeschlossen ist.
(Quelle: Geschäftsordnung des Landtags)
Wohlgemerkt: Das ist die Geschäftsordnung. Dass man sich nicht so streng an die Geschäftsordnung halten muss, zeigt auch § 107 Geschäftsordnung:
Abweichungen von den Vorschriften der Geschäftsordnung sind unzulässig, wenn nach Feststellung der Präsidentin bzw. des Präsidenten mindestens fünf Mitglieder des Landtags widersprechen.
(Quelle: Geschäftsordnung des Landtags)
Wenn niemand protestiert, kann man es auch ganz anders machen als in der Geschäftsordnung vorgeschrieben.

Jetzt gibt es am 13. Mai Neuwahlen. Und das ist sicher in Ordnung. Denn der Landtag NRW hat das beschlossen. Und das darf er laut Verfassung NRW auch:
Artikel 35
(1) Der Landtag kann sich durch eigenen Beschluß auflösen. Hierzu bedarf es der Zustimmung der Mehrheit der gesetzlichen Mitgliederzahl.
(Quelle: Art. 35 Landesverfassung)
Erschreckend allerdings ist etwas anderes:
Ein eigentlich noch nicht einmal mit der Geschäftsordnung sinnvoll zu begründender Vermerk von zwei Juristen reicht aus, um den Landtag einstimmig zur Selbstauflösung zu bewegen.

Varzil sieht hier viel Raum für Verschwörungstheorien:

Eine der hübscheren geht so: Frau Merkel ärgert sich immer noch über die FDP, die in Sachen "Bundespräsidentenwahl" hinter ihrem Rücken den Vorschlag "Gauck" propagiert. Sie will die FDP in ihre Schranken verweisen und telefoniert mit ein paar wichtigen Leuten in NRW. Die lassen einen bescheuerten Vermerk produzieren und publik werden. Und voila: nach menschlichem Ermessen fliegt die FDP in den nächsten 2 Monaten aus drei Landtagen. Päng!

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