Freitag, 5. Januar 2007
Über die Seuche und die Hinrichtung
Saddam Hussein ist hingerichtet worden. So und ähnlich stand es in der Süddeutschen und diversen anderen Medien. Varzil verkneift sich die Empörung über die Todesstrafe und meidet einige Tage die "Seuche Internet" (Kornelius hatte sich in der Süddeutschen vom 3.1.2007 darüber empört, dass man sich die mit einem Handy gefilmte Hinrichtung in der "Seuche Internet" ansehen kann.)

Stefan Niggemeier hat gegen den Begriff "Seuche Internet" polemisiert, Stefan Kornelius hat zurückgepoltert. Stefan ./. Stefan sozusagen.

Auf den Haken bei der Sache macht Indiskretion Ehrensache aufmerksam:
    "...Die Debatte und Berichterstattung um das Hinrichtungsvideo von Saddam Hussein demonstriert in erschreckender Weise, wie manche Berufskollegen verlernt haben, zwischen Ursache und Wirkung zu unterscheiden...."
    (Quelle: Indiskretion Ehrensache)
Deutlich wird das in der Gegenüberstellung der Berichterstattung über die Hinrichtung Saddams, zunächst am 30.12. und dann in etwa ab dem 3.1.2007:

Die offizielle und in den Zeitungen gemeldete Darstellung über die Hinrichtung am 30.12.2006 lautet so: Die Meldungen links erinnern vor dem Hintergrund der jetzt bekannt gewordenen Filmchen über die Hinrichtung stark an den ehemaligen Informations­minister Mohammed Saïd al-Sahhaf (alias Comical Ali). Denn nach der Veröffentlichung des Handy-Videos liest sich der Hergang der Hinrichtung ganz anders:
    "...Saddam sei mit einem Koran in gefesselten Händen in den Hinrichtungsraum geführt wor­den, sagte Al-Rubai. Kurz vor seinem Tod sei ihm nochmals das Urteil und dessen Be­stä­tigung durch ein Berufungs­gericht verlesen worden. Saddam habe wie ein «gebro­chener Mann gewirkt», habe aber keine Reue gezeigt, berichtete Al-Rubai. Er habe es abgelehnt, mit verhülltem Kopf zu sterben.

    Die Hinrichtung habe inter­natio­nalem, irakischem und mus­li­mischem Recht ent­spro­chen, sagte Al-Rubai. «Von A bis Z» sei alles gefilmt und auf Fotos festgehalten worden. Bislang sei jedoch noch keine Ent­schei­dung gefallen, ob die Aufnahme der Öffentlichkeit gezeigt wer­den sollen. Er widersprach damit Berichten des irakischen Fernsehens, das die Aus­strah­lung der Aufnahmen an­gekün­digt hat­te. ..."
    (Quelle: Netzeitung vom 20.12.2006)
Noch deutlicher suggeriert der folgende Teil einer Meldung die Vorstellung, alles sei korrekt abgelaufen:
    "... On Saturday Iraq's national security adviser, Mouwafak al-Rubaie - who had attended the execution, kept up the official fiction with a highly misleading account of Saddam's death.

    "He was respected throughout, when he was alive and when he became a body, before and after the execution," Mr Rubaie told Sky News and Fox News. "We followed methodically the international standards and Islamic standards ... every 't' was crossed and every 'i' was dotted." ...
    (Quelle: The Guardian)
    "...Die filmende Person steigt eine Metalltreppe hinauf. Auf einer Ballustrade steht bereits Saddam Hussein, neben ihm zwei Henker. Mehrere Personen in der Umgebung des Filmenden sind nur als Schatten oder Silhouetten auszumachen. Ihr Murmeln und ihre Gespräche sind weitgehend unverständlich.

    Zwei maskierte Henker legen Saddam den Strick um den Hals.


    SADDAM: "O Gott!"

    MEHRERE PERSONEN, die nicht zu erkennen sind, beginnen laut zu beten: "Gott segne all jene, die für Mohammed und seine Nachfahren beten. Friede sei auf Mohammed und seinen Anhängern. Möge die Ankunft des Mahdi beschleunigt werden und mögen seine Feinde verflucht sein!"

    EIN MANN ruft: "Muktada! Muktada! Muktada"

    Gemeint ist damit der Schiitenführer Muktada al-Sadr.

    SADDAM tut, als sei er überrascht: "Muktada? Zeigt ihr so euren Mut als Männer?"

    EIN MANN: "Zur Hölle!"

    SADDAM: "Ist das der Mut der Araber?"

    EIN MANN: "Zur Hölle!"

    SADDAM: "Die Hölle, die der Irak ist?"

    EIN ANDERER MANN, möglicherweise Munkith al-Farun, der Staatsanwalt: "Bitte, dieser Mann wird exekutiert. Ich bitte Euch!"

    EIN ANDERER MANN: "Lang lebe Mohammed Bakir al-Sadr!"

    Damit ist ein Verwandter Muktadas gemeint, der als Großayatollah ein wichtiger Führer der irakischen Schiiten war, bis er 1980 von Schergen Saddams ermordet wurde.

    SADDAM spricht das Glaubensbekenntnis: "Ich bekenne, es gibt keinen Gott außer Gott und Mohammed ist der Gesandte Gottes. Ich bekenne, es gibt keinen Gott außer Gott und Mohammed ist der Gesandte ..." - Das letzte Wort "Allah" kann er nicht mehr aussprechen, denn die Henker haben die Falltür geöffnet und der Körper fällt in die Tiefe.

    EIN MANN: "Der Tyrann ist gefallen! Möge Gott ihn verfluchen!"

    MEHRERE MÄNNER: "Gepriesen sei Mohammed!"

    EIN ANDERER MANN: "Lasst ihn für drei Minuten hängen!"

    EIN DRITTER MANN: "Nein, nein, tretet zurück. Lasst ihn acht Minuten hängen. Nehmt ihn noch nicht herunter."

    EIN MANN will für den Toten beten. Daraufhin wird er angeschrieen: "Was, für den willst du beten?"
    ...
    (Quelle: Spiegel online)

Wie handfest "Iraq's national security adviser" gelogen hat, ist nur durch die "Seuche Internet" bekannt geworden. Und genau dazu ist das Internet da: nämlich um Phänomene (besser) bekannt zu machen. Zumal dann, wenn TV und Zeitungen nicht so genau hinsehen wollen.

Natürlich ist die Zurschaustellung der Hinrichtung Sadam Husseins abgeschmackt und barbarisch. Das Widerliche liegt aber nicht "am Internet"und auch nicht an den alten Medien. (Auch BILD brachte auf der Titelseite das Foto von Saddam mit dem Strick um den Hals.)

Grundsätzlich ist es ok, dass das Hinrichten eines Menschen durch den Staat, und sei es aufgrund eines ordentlichen Urteils, auf Empörung stößt. Auch ist es ok, dass manche (Gott sei Dank nicht die Mehrheit) Menschen zwar grundsätzlich die Todesstrafe ablehnen, aber in besonders schweren Fällen denn dann vielleicht doch nicht so direkt.
Und erst recht ist es grundsätzlich zu begrüßen, dass eine breite Mehrheit die Öffentlichkeit bei Hinrichtungen ausgeschlossen sehen will und gegen Filme über Hinrichtungen protestiert.

Wie gesagt: Wenn man trotzdem die Veröffentlichung des Hinrichtungsvideos im Internet begrüßen muss, dann deshalb, weil sonst die erbärmlichen Umstände der Hinrichtung nicht bekannt geworden wären.

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