Mittwoch, 19. März 2008
Urteile mit Dauerwirkung
Dass es da bei der Vorratsdatenspeicherung "Optimierungsbedarf" gab, war schon durch die Diskussion um die Vorratsdatenspeicherung klar. Etwas Neues konnte man da sinnvoller Weise als Otto Normalverbraucher kaum noch sagen. Zahlreiche Blogs hatten sich daher in Trauer gehüllt.

Jetzt gibt es Neues: In einer Eilentscheidung hat das Bundesverfassungsgericht Teile des der Vorratsdatenspeicherung zugrunde liegenden Gesetzes außer Kraft gesetzt:
"In dem Verkehrsdatenabruf selbst liegt ein schwerwiegender und nicht mehr rückgängig zu machender Eingriff in das Grundrecht aus Art. 10 Abs. 1 GG. ..."
(Quelle: Bundesverfassungsgericht Nr 156 des Beschlusses vom 11.03.2008)
Gut so.

Das ist ein Monat mit erstaunlichen Bundesverfassungsgerichtsentscheidungen:
  • Am 27.02.2008 wird die Online-Durchsuchung gestoppt ( Koriander hatte schon am April 2007 angedeutet, dass da was faul war.) und eine Art Coumputer-Grundrecht geschaffen.
  • Das Bundesverfassungsgericht hat am die automatische Kfz-Kennzeichenerfassung teilweise gestoppt mit der bemerkenswerten Sentenz:
    "Die automatisierte Erfassung von Kraftfahrzeugkennzeichen darf nicht anlasslos erfolgen oder flächendeckend durchgeführt werden. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne ist im Übrigen nicht gewahrt, wenn die gesetzliche Ermächtigung die automatisierte Erfassung und Auswertung von Kraftfahrzeugkennzeichen ermöglicht, ohne dass konkrete Gefahrenlagen oder allgemein gesteigerte Risiken von Rechtsgutgefährdungen oder -verletzungen einen Anlass zur Einrichtung der Kennzeichenerfassung geben. Die stichprobenhafte Durchführung einer solchen Maßnahme kann gegebenenfalls zu Eingriffen von lediglich geringerer Intensität zulässig sein."
    (Quelle: Bundesverfassungsgericht Leitsatz 4 des Urteils vom 11.3.2008)
    Hier war zunächst einmal bemerkenswert, dass dem Gesetzgeber nicht die Idee gekommen war, den Zweck der Kennzeichenerfassung ordentlich zu definieren - obwohl die Bedenken ("Bewegungsprofile") eigentlich naheliegend waren.
  • Die gesetzliche Regelung der von der EU angestoßenen Vorratsdatenspeicherung hat auch nicht funktioniert, s.o. Auch hier stehen die "Big brother is watching YOU"-Bedenken im Vordergrund.
  • Und noch was - außerhalb von "1984": Vor kurzem hat sich das Bundesverfassungsgericht (am 26.02.2008) auch mit dem Inzest-Verbot in § 173 Abs. 2 StGB auseinandergesetzt. Hier hat die Mehrheit der Richter zwar sehr staatstragend entschieden, dass das Inzest-Verbot verfassungsmäßig ist.

    Immerhin aber hat ein Richter, und zwar nicht irgendeiner, sondern der Vorsitzende und Berichterstatter in dem Fall, Herr Dr. Hassemer, die Begründung des Gerichts nach allen Regeln der Jurisprudenz zerpflückt. Er beginnt mit:
    "...Die Norm verfolgt schon kein Regelungsziel, das in sich widerspruchsfrei und mit der tatbestandlichen Fassung vereinbar wäre ..."
    (Quelle: Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 26.02.2008)
    Sein abweichendes Votum ist einfach lesenswert. Allein wie er die Sentenz des Gerichts von der
    „Zusammenfassung nachvollziehbarer Strafzwecke vor dem Hintergrund einer kulturhistorisch begründeten, nach wie vor wirkkräftigen gesellschaftlichen Überzeugung von der Strafwürdigkeit des Inzests, wie sie auch im internationalen Recht festzustellen ist" (Quelle: aaO Randnummer 81 )
    auf ein "das war schon immer so" reduziert und damit als schlichtes Geblubber entlarvt, ist eigentlich einen eigenen Blog-Eintrag wert.
Das Bundesverfassungsgericht zeigt hier eine Qualität, die man bei Exekutive und Legislative vermisst.

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