Dienstag, 6. März 2007
Wenn alles zu teuer wird
Wenn alles zu teuer wird, bleiben einem nicht viele Möglichkeiten:
  1. Man kann sich einschränken (= aktueller Konsumverzicht).
  2. Man kann sich verschulden (= Konsumverzicht irgendwann in der Zukunft).
  3. Man kann versuchen, die Einnahmen zu erhöhen.
Da die Varianten 1 und 2 aus unterschiedlichen Gründen lästig sind, kann man es einem "Ersten Kriminalhauptkommissar" mit Wohnsitz in München nicht verdenken, dass er von Variante 3 Gebrauch gemacht hat. Er hat seinen Dienstherrn (das Land Bayern) auf mehr Geld verklagt, und als er vor Gericht kein Recht bekam, zog er vor das Bundesverfassungsgericht. Der geschiedener Vater von 3 Kindern lebt und arbeitet in München und macht in seiner Beschwerde geltend, er komme er mit seinem Gehalt (A 13) einfach nicht aus.
"... Zwar müsse auch der Beschwerdeführer nicht verhungern oder Armut leiden; allein hieraus folge jedoch nicht, dass die ihm gewährte Alimentation [d.h.: sein Gehalt - anm. d. Autors] den verfassungsrechtlichen Vorgaben noch genüge. Über die bloße Bedarfsdeckung hinaus setze die verfassungsrechtlich garantierte Alimentation vielmehr die Möglichkeit einer amtsangemessenen Lebensführung voraus. Angesichts der exorbitant hohen Lebenshaltungskosten in München werde er aber nicht mehr angemessen im Sinne seines Amtes nach der Besoldungsgruppe A 13 alimentiert. ...
(Quelle: Urteil des Bundesverfassugnsgerichts vom 6.3.2007)
    Einschub:
    Die Details des "Alimentationsprinzips" sind manchmal erstaunlich, aber es reicht, sich den Grundsatz einmal vor Augen zu führen:
    "Das Alimentationsprinzip (geregelt im Art. 33 Abs. 5 GG) bezeichnet in Deutschland die Verpflichtung des Dienstherren, Beamten während des aktiven Dienstes, bei Krankheit und Invalidität und nach dem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst aus Altersgründen einen angemessenen Lebensunterhalt zu zahlen (gemessen am letzten oder einem früheren Amt) und gehört zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums. Dies beinhaltet auch die Beihilfe im Krankheitsfall und die Versorgung von Angehörigen.
    (Quelle: wikipedia zum Alimentationsprinzips)
Das Bundesverfassungsgericht hat sich einigermaßen gründlich mit der Beschwerde beschäftigt. Unter anderem stellt es fest, dass es sehr wohl 99 Jahre lang (von 1873 bis 1972) üblich war, die unterschiedlichen Lebenshaltungskosten in Stadt und Land durch Zuschläge zum Gehalt auszugleichen.

Allerdings hat das Gericht die Klage dennoch abgewiesen. Neben den beamtenrechtlichen Ausführungen gibt es in dem Urteil ein paar auch für den Normalbürger interessante Feststellungen zum Leben in teueren Ballungszentren:
"...Die in bestimmten Ballungsräumen vergleichsweise hohen Preise spiegeln ... die dortige Lebensqualität wider. Sie bringen unter anderem zum Ausdruck, dass ein Leben in dem betreffenden Standort von einer Vielzahl von Menschen als attraktiv bewertet wird.

Zwar trifft es zu, dass Bezieher niedriger und mittlerer Einkommen von Teilen dessen, was die Attraktivität des Lebens an Orten mit hohem Preisniveau ausmacht, gerade aus Kostengründen nicht oder nur eingeschränkt profitieren können. Auch wenn berücksichtigt wird, dass etwa Teile des kulturellen Angebots, gehobene Einkaufsmöglichkeiten und innerstädtische Wohnquartiere nur von Personen mit höherem Einkommen intensiv oder überhaupt genutzt werden können, ist aber die Einschätzung nicht offensichtlich verfehlt, dass auch für Bezieher niedrigerer Einkommen den höheren Lebenshaltungskosten Vorteile gegenüberstehen, die dagegen sprechen, die geringere Kaufkraft des Beamtengehalts in diesen Räumen ohne weiteres mit einem entsprechend geringeren Lebensstandard gleichzusetzen. Als Beispiele seien nur die in Ballungsräumen reichhaltigeren Bildungsangebote und medizinischen Versorgungsmöglichkeiten, vielfältigere Freizeit- und Unterhaltungs­angebote auch in den niedrigeren Preissegmenten oder ortsspezifische Vorteile wie die Nähe zu attraktiven Erholungsgebieten genannt. ...
(Quelle: Urteil des Bundesverfassugnsgerichts vom 6.3.2007)
Versucht man die genannten Ballungsraum-Vorteile (Bildungsangebote, medizinische Versorgung, Freizeit- und Unterhaltungsangebote) auf den einzelnen Menschen zu konkretisieren, so reduzieren sich die Vorteile: Da diese Angebote in aller Regel Geld kosten, hat man wenig davon, wenn Geld knapp ist. Allein schon das kostenlose Herumlaufen in der sicherlich schönen Stadt kann schmerzhaft werden, wenn man sich und seinen Kindern dauernd sagen muss:
    "Das ist zu teuer".
Möglicherweise war diese Situation auch für Bundesverfassungsrichter nachvollziehbar. Und vielleicht ist sich das Gericht deshalb nicht ganz einig:
"...Diese Entscheidung ist mit sechs gegen zwei Stimmen ergangen."
(Quelle: Urteil des Bundesverfassugnsgerichts vom 6.3.2007)
Danach folgen die Unterschriften dieser Richterinnen und Richter:
    Richter:
    Vizepräsident Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Hassemer
    BVR Prof. Dr. Broß
    BVR Prof. Dr. Dr. Di Fabio
    BVR Dr. h.c. Mellinghoff
    BVR Dr. Gerhardt
    BVR Prof. Landau
    Richterinnen:
    BVR'in Prof. Dr. Osterloh
    BVR'in Prof. Dr. Lübbe-Wolff
    Quelle: Besetzung des Bundesverfassungsgerichts
Da darf man wohl darüber spekulieren, wer in dem Zweiten Senat da wie über die Lebensqualität abgestimmt hat.

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