Freitag, 31. März 2006
Randale in Neukölln
Das klingt ungut, was da gestern und heute durch die Medien ging. Fremdartig klingt es aber nicht:
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    An der Rütli-Schule scheint das Problem besonders drastisch zu sein: „Die Araber haben das Sagen und unterdrücken die Türken“, berichtet eine ehemalige Lehrerin im „Tagesspiegel“. Sie habe das Gefühl, an der Schule würden „Kriminelle und Terroristen“ großgezogen.

    Rund 80 Prozent an der Rütli-Schule sind ausländischer Herkunft....Türen werden eingetreten, Papierkörbe als Fußbälle missbraucht und Knallkörper gezündet. Einige Pädagogen gehen nur noch mit Handy in bestimmte Klassen, damit sie notfalls schnell Hilfe holen können.
    ...
    (Quelle: süddeutsche online)
Die Dimension verschreckt, aber das Prinzip "Angst und Schrecken verbreiten" kennt man auch aus anderen Bundesländern und von anderen Schulen.

Schon in den 80er-Jahren erzählte eine Hauptschullehrerin von einer Kollegin, die über einen längeren Zeitraum während des Unterrichts immer wieder in einen Klassenschrank eingesperrt wurde, wenn sie nicht "spurte".
[Ergänzung vom 3.4.: Zur Klarstellung: die 80er-Jahre-Story ereignete sich in einem kleineren Städtchen der Voreifel mit einer eindeutig und nahezu ausschließlich deutschen Bevölkerung.]

Varzil fragt sich, was bei den Kindern und Jugendlichen alles schief gelaufen sein muss, dass sich eine derartige Agressivität auf Schule und Lehrer entwickeln konnte.

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…mich verwundert die Aufregung, bzw. die Reaktion der Politik
Anstelle darüber nachzudenken warum eine Integration nicht gelingt werden Zwangsmaßnahmen angedroht die wiederum das genaue Gegenteil des Erwünschten bringen.

Betrachtet man die Hinter- und Untergründe eines provokativen und gewaltbereiten Verhaltens, wie im Falle der Hauptschule in Berlin, wird sehr schnell klar woran es krankt. Die betroffenen Jugendlichen und Kinder sind die erste oder zweite Generation von Einwanderern, Gastarbeitern usw. natürlich sind auch Wirtschaftsflüchtlinge dabei. Welches Vorbild soll für eine Integration dieser jungen Menschen herhalten? Die Eltern leben zwar in Deutschland sind aber nie wirklich hier angekommen. Mitgebrachte kulturelle und familiäre Strukturen werden weiterhin innerhalb der Gemeinschaft gelebt. Von „Deutscher Seite“ werden sie grundsätzlich als schwierig und als „Ausländer“ und potenzielle Arbeitslose gesehen. Für Muslime ist die Problematik nach 2001 noch differenzierter, zumal medial mit Pauschalverurteilungen sehr inflationär umgegangen wird. Nur wenige der Betroffenen leben in einem sozial ausgewogenen Umfeld und nicht in Billigghettos. Es entsteht bei den Jugendlichen ein Gefühl der Verlierer, ein Zustand der Minderwertigkeit gegenüber der Mehrheit, hier gegenüber den Deutschen. Diesem pathologischen Zustand der Depression wird, vollkommen verständlich, entgegengewirkt. Einerseits mit Gruppenbildung und andererseits mit Gewalt gegen Einzelne und Gruppen. Gruppenbildungen mit gleicher Nationalität, Kultur und Schicksal sind am ehesten zu beobachten. Um den Minderwertigkeitskomplex zu kompensieren, die Depression zu ertragen müssen Aktionen von Gemeinsamkeit geschaffen werden. Leider ist der Ausdruck dieser Gemeinsamkeit und in diesem Alter die Gewalt gegen, einerseits Autorität und weiters gegen andere Gruppen von ebenfalls Betroffenen. Das Auflehnen gegen Autorität ist nachvollziehbar im pubertären Alter, natürlich ist Gewalt nicht akzeptierbar. Das „Reiben“ an anderen Gruppen von Betroffenen ist insofern erklärbar, das es darum geht Schicksalsgemeinschaften nochmals in Gewinner und Verlierer zu unterteilen. Gewinnt eine Gruppe wird die Depression kurzfristig wieder „normalisiert“, bei den Verlierern wird die Aussicht auf die zukünftig gewonnene „Schlacht“ die Gruppe bestärken und einen Selbstberechtigungsmittelpunkt bilden.

Da wir Lösungen nicht nach Effizienz sondern nach Kosten beurteilen gibt es auch hier günstige Möglichkeiten. Deutsche Lehrer kennen weder Kultur noch interfamiliäre Strukturen der „ausländischen“ Schüler und können somit auch keine Prävention gegen Unverständnis und resultierender Gewalt erkennen. Psychologen und Lehrer aus den jeweiligen Kulturkreisen die mit den Schülern und Gruppen arbeiten und gegenseitiges Akzeptieren der Gruppen fördern und damit eine Integration in Deutschland möglich machen. Erst wenn Komplexe von Minderwertigkeit und das daraus resultierende Verhalten wie Hass, Aggression, Perspektivlosigkeit und unterschiedliche Wertvorstellungen abgebaut sind, ist ein friedliches Miteinander in den Schulen und im täglichen Leben möglich.

Der Druck gegen Gewalt durch Androhung von Strafe und Sanktionen wird von den Jugendlichen nur als Gegengewalt gesehen. In erster Linie muss der pathologische Knoten der Perspektivlosigkeit und fehlender Zugehörigkeit gelöst werden.

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Danke für die Überlegungen - ich hab die Überlegungen zum Anlass genommen, in dem Posting klarzustellen, dass das Hauptschulproblem nicht originär ein "Ausländer"-Problem, sondern schlicht und einfach ein "Unterschichten"-phänomen ist (oder wie auch immer man das, was man früher, bevor Brecht den Begriff adelte, "Proleten" nannte.

Leider scheint es so, dass sich diese Kreise (Unterchicht und Ausländer) überschneiden.

Der deutsche "Prolet" ist dabei um nichts besser als sein türkisches/arabisches/russisches/xxx Pendant. Gut, man kann versuchen, auf Deutsch mit ihm zu reden. Aber mit "gut zureden" ist da in aller Regel nicht mehr viel zu machen. Die Störung in der Kommunikation liegt da nach meinem Eindruck auf einer ganz anderen als der sprachlichen Ebene: es sind die "zu-kurz-gekommenen", die da aufbegehren.

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