Donnerstag, 16. November 2006
Zauberhaft: Zeitung ./ . Blog
Manchmal erfährt man mehr aus einem Blog als aus der Zeitung. In Bonn beispielsweise wird regelmäßig eine Inszenierung der Zauberflöte wiederholt, und ebenso regelmäßig berichtet die lokale Zeitung, der Generalanzeiger über die Wiederaufnahme. Das war jahrelang so.

Nun aber berichtet ein hier gern gelesenes Blog ebenfalls über die Wiederaufnahme. Und es ist schon nett, einen Text, der in der Zeitung auf den vermeintlichen Publikums­geschmack getrimmt wurde, neben den Text einer Opernbesucherin zu halten, die authentisch und unmittelbar zu dem Gesehenen und Gehörten Stellung nimmt. Hier ein paar Auszüge:
Generalanzeiger:
"...Dass der Prinz Tamino mit Bogen und Kescher, aber ohne Pfeil durch die Lande zieht, hat Librettist Schikaneder bestimmt. Schon beim Anblick der Schlange (oder der kahlen Nackten, die sie führt?) fällt er in Ohnmacht. .."
Sopran:
"...Auftritt Schlange. Die kommt mir weniger lächerlich vor als die letzten Male (zuerst 1996), es ist aber immer noch eine Türschlitzwurst von Ikea. Die nachte junge Frau, die der Schlange den Kopf führt zu Tamino möchte ich lobend erwähnen. Sie huscht nur für einen Moment durch die schiefe Schachtel, die das Bühnenbild ist. Pfeil war auch auf dem Bild, aber Taminos Kescher ist leer, und das wollte der Schikaneder auch so...."
Anmerkung:
    Das Blog kommt mit der Ikea-Türschlitz-Wurst-Metapher deutlich besser 'rüber. Der Autor hat die Inszenierung vor einigen Jahren gesehen und hat die "Schlange" einfach nur als lächerlich in Erinnerung. Die Nackte hatte er seinerzeit sicherlich gesehen, aber längst wieder vergessen. Nacktheit in der Oper ist für die männlichen Besucher zwar immer noch ein "Ei-Kätscher", sie prägt sich aber einfach nicht mehr als etwas Besonderes sein. Nackt sein macht da Sinn, wo es in die Handlung passt. Alles andere ist Regie-Mumpitz: Aus den Augen, aus dem Sinn.
Generalanzeiger:
"...Keine strahlende Heldenrolle ist Tamino gegeben, und Patrick Henckens bleibt in ihr schauspielerisch etwas hölzern, sänge­risch ohne rechten Glanz. Als Pamina war Anna Virovlansky (sowieso für die Rolle vorgesehen) für Julia Kamenik einge­sprungen. Virovlansky ist auch als Pamina eine bezaubernd-kokette Adele, als die sie in Bonn in der Fledermaus zu sehen war.

Ihr ist keine Spur von Verzweiflung über die Gefangenschaft anzumerken, und wen soll es wundern, dass ihr außer Tamino auch Sarastro (stimmlich blass: Andrej Telegin), Monostatos (Uwe Eikötter) und Papageno zu Füßen liegen?...Mark Morouse hatte sich erkältet, sang aber frisch und herzhaft, gerade so ungehobelt, wie es die Rolle verlangt, Virovlansky glockenhell und leicht. Zum ersten Mal in Bonn zu hören war die dänische Sopranistin Louise Fribo als Königin der Nacht. Sie sang "die" Arie sehr beweglich differenziert mit scheinbar leichter Höhe. Das geriet nicht völlig makellos, dafür mutig, ausdrucksstark und immer im Spiel.

So ist sie sängerisch wie schauspielerisch eine überzeugend böse, verzweifelte, rachsüchtige Mutter. Die akkurateste Ensembleleistung war von den drei Knaben zu hören: Maren Knopp, Joanna Lissai und Stephanie Altmann sind Mitglieder des Jugend­chores der Oper.

Sie füllten ihre Kurze-Hosen-Rolle unbekümmert aus, spielten und sangen dabei professionell. Mit den erwachsenen Sängerinnen und Sängern hatte der musikalische Leiter Erich Wächter trotz seines sehr exakten und durchsichtigen Dirigates mehr Schwierigkeiten. ..."
Sopran:
"...Der Tamino trägt eine Art Schlafanzug mit Pferdchenmotiven, weißblau, die Pamina Lachs, gräßliche Farbe, aber Anna Virovlansky kann nichts entstellen. Ich frage mich, ob sie für jede Besetzung ein anderes bezaubernd schönes Bildnis herstellen, denn dieses sieht Anna Virovlansky deutlich ähnlicher als der ausgefallenen Julia Kamenik. Alle vier anderen Frauen tragen rot-schwarz, die Männer gelb, Ethno-Muster, die Löwen, sind die neu? Sarastro hat eine Gazelle gejagt, man hat sich was geliehen beim "König der Löwen"-Musical, stelle ich mir vor. Die Löwen sind dramaturgisch so unwichtig.

Papageno, die Damen und Tamino jonglieren mit Totenschädeln. Darf man das heutzutage noch?

Streichen sollte man den armen Monostatos. Zieht irgendwie runter, die Figur, keiner liebt mich, weil ich schwarz bin. Und ich denke: Nein, keiner liebt Dich, weil Du ein Langweiler bist mit einer langen weiligen Arie und die nicht mal besonders toll singst. Wie soll man diese Rolle auch nur annähernd p.c. inszenieren? Ohne ihn würde die Oper auch funktionieren und statt dreieinviertel Stunden nur dreieinhalb Stunden dauern. Tamino ist eine trübe Tasse und wird es bis zum Ende und darüber hinaus bleiben, da können die Maurer noch so in ihn investieren.

Aufgabe des Sarastro ist, möglichst tief zu singen, und das macht er wohl ganz gut. Aufgabe der Königin der Nacht ist es, möglichst hoch zu singen, dafür muss ein Gaststar engagiert werden, einer, der noch bezahlbar ist, wie die Dänin Louise Fribo, die die Rolle noch nicht an der Met gesungen hat. Sie macht das gut, trifft nicht immer ganz genau da oben, aber sie traut sich, bei diesen ganzen schnellen hohen Tönen immer weiter zu spielen, hübsch böse und bitter und rachsüchtig, ich mag das.

Ein Durchbruch der Frauenbewegung, dass die drei Knaben statt mit Sänger­knaben oder drei selben oder weiteren Damen mit knackfrischen weiblichen Teenagern aus dem Jugend­chor der Oper besetzt sind. Die drei tragen weiße Kniestrümpfe und bieten die beste Ensembleleistung des Abends. Ihre Vor­stellung von Rhythmus deckt sich mit der des Dirigenten. Großer Spaß, die drei. Ihre Stimmen gerade noch kindlich, der zweite Knabe schon ziemlich kernig zu hören, das ist schön, da versteht man dann auch den Text richtig gut. ..."
Quelle: GeneralanzeigerQuelle: Sopran

Wenn die lokale Zeitung so offen und unverstellt schriebe wie die Bloggerin, würde man wahrscheinlich sogar den Generalanzeiger gerne lesen. Eine Formulierung wie:
    "... Ihre Vorstellung von Rhythmus deckt sich mit der des Dirigenten. ..."
muss man sich einfach mal auf der Zunge zergehen lassen. Viel schöner kann man den Rest des Ensembles nicht abqualifizieren. Wie blass und kraftlos ist dagegen die Zeitung:
    "...Mit den erwachsenen Sängerinnen und Sängern hatte der musikalische Leiter Erich Wächter trotz seines sehr exakten und durchsichtigen Dirigates mehr Schwierigkeiten...."
Vermutlich aber bleibt bei der Zeitung alles so seriös bis bieder, gediegen und glattgeschmirgelt wie die letzten 100 Jahre. Wozu auch sich ändern, junge Leute kaufen eh keine Zeitung mehr, und wenn sich der Ton radikal ändert, kündigen auch die Alten. Varzil weist zusätzlich darauf hin, dass Zeitungsmacher wohl nur selten Weblogs lesen.

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Wenn das deren einziges Problem wäre, würde es noch angehen. Aber speziell einige Feuilletonisten schreiben mehr für die Kollegen als für die Leser.

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Zeitungen sind häufig langweilig (einhelliger O-Ton meiner Kinder): eine Todsünde im Medienbereich.

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"Ei-Kätscher": schön.

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