Donnerstag, 26. Oktober 2006
Totenruhe
Ein Skandal macht sich breit. Während man über die Massaker z. B. von amerikanischen Soldaten in Haditha mehr oder weniger gelassen diskutiert, ist es "schockierend und abscheulich" (Merkel lt. Süddeutsche online), was da deutsche Soldaten in Afghanistan gemacht haben.

Was genau sie gemacht haben, ist allerdings nicht so richtig erkennbar, wenn man nicht gestern eine BILD-Zeitung gekauft hat. Das macht der Autor allerdings schon aus Prinzip nicht, also auch nicht aus Neugier. Online stehen die Fotos bei BILD online jedenfalls nicht.
    Nachtrag 15:40 Uhr:
    Bei Telepolis gibt es einen lesenwerten Aufsatz von Christian Gapp zum Thema mit einem Bild aus der BILD von Schädel und Soldat.
Die ("unsere") Jungs in Afghanistan haben offenbar mit einem menschlichen Schädel herumgemacht, gespielt, posiert, einen Penis darangehalten ...
Bildzeitungfotos, angeblich echt, belegen dies. Und alle sehen einen Skandal:
    "Ein Soldat präsentiert einen Totenschädel, ein anderer macht vor der Kamera obszöne Gesten. ..."
    (Quelle: Süddeutsche online)
Und dann die Staatsanwaltschaft in Potsdam (Brandenburg):
    "Die Staatsanwaltschaft Potsdam hat jetzt Ermittlungen eingeleitet: „Seit heute morgen läuft ein Verfahren gegen Unbekannt wegen Störung der Totenruhe.“
    (Quelle: Bild online)
§ 168 StGB "Störung der Totenruhe" ist sicherlich nicht eines der schweren Kaliber des Strafgesetzbuchs. Andererseits reicht der Strafrahmen von bis zu 3 Jahren Freiheitsstrafe locker aus, einen Soldaten aus dem Dienst zu entfernen (§ 48 Soldatengesetz).

Interessanter Weise ist § 168 StGB eine Vorschrift im Rahmen von " Straftaten, welche sich auf Religion und Weltanschauung beziehen", es hat offenbar gar nicht wie anfänglich vermutet, etwas mit Straftaten gegen die öffentliche Ordnung zu tun.
    Nebenbei:
    Könnte man dann eigentlich nicht einwenden, dass die Störung der Totenruhe eines überzeugten Atheisten nicht strafbar ist?
Aber es lohnt sich bekanntlich immer, den Text des Gesetzes einmal genauer zu lesen und sich die einzelnen Tatbestandsmerkmale anzusehen:
    § 168 Störung der Totenruhe
    (1) Wer unbefugt aus dem Gewahrsam des Berechtigten
    • den Körper oder Teile des Körpers eines verstorbenen Menschen,
    • eine tote Leibesfrucht, Teile einer solchen oder
    • die Asche eines verstorbenen Menschen
    wegnimmt
    oder
    • wer daran beschimpfenden Unfug verübt,
    wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

    (2) Ebenso wird bestraft, wer eine Aufbahrungsstätte, Beisetzungsstätte oder öffentliche Totengedenkstätte zerstört oder beschädigt oder wer dort beschimpfenden Unfug verübt.

    (3) Der Versuch ist strafbar.
    (Quelle: Juris; aufgegliedert vom Autor)
"... wer daran beschimpfenden Unfug verübt ..." Woran? An Teilen einer Leiche oder nur an Teilen einer im Gewahrsam eines Berechtigten befindlichen Leiche?
    Nebenbei:
    "Verüben" - was ist eigentlich "verüben"? Wenn man sich beim Klavier-Üben verspielt oder wenn man das falsche Stück übt, hat man sich dann verübt? Und wenn man also nicht sich, sondern etwas (z.B. "Unfug") verübt, wird dann aus Unfug Fug? Verübter Unfug = geübter Fug?
    Mit Fug und Recht kann man etwas behaupten: das ist alles Unfug ...
Aber zurück zur Totenruhe: Welche Ruhe wurde gestört? Nimmt man einmal den möglicherweise in Afghanistan nicht so unwahrscheinlich Fall an, dass der Tote bei Kampfhandlungen getötet wurde und wegen eben dieser Kampfhandlungen überhaupt nicht beerdigt wurde. Dann verweste er unter freiem Himmel ("den Hunden zum Fraß vorgeworfen"). Hatten seine sterblichen Reste dann überhaupt irgendeine "Ruhe", die man hätte stören können?

Eines nur ist ganz klar: Die Empörung ist ungeheuer. Ein deutscher Soldat macht so 'was nicht, jedenfalls nicht mehr nach 1945.
Nachtrag vom 7.12.2006
Nun wird das wohl nichts mehr mit einem Strafverfahren:
    "Die Staatsanwaltschaft München hat das Ermittlungsverfahren gegen zwei Bundeswehr-Soldaten, die in Afghanistan mit Totenschädeln posiert hatten, eingestellt. Es liege keine strafbare Störung der Totenruhe vor.

    München - Der zunächst begründete Anfangsverdacht habe sich nicht bestätigt, erklärte Oberstaatsanwalt Rüdiger Hödl heute. Der Totenkopf und unzählige andere menschliche Knochenteile hätten im Jahr 2003 auf einem lehmigen Gelände gelegen, auf dem die afghanische Bevölkerung seit Jahren schon Lehm für ihre Häuser abbaue. Nur wenn der Totenschädel von einem Friedhof gestammt hätte, "wäre ein dort verübter beschimpfender Unfug strafbar", erklärte Hödl. Eine Ordnungswidrigkeit wegen Belästigung der Allgemeinheit wäre inzwischen verjährt. ..."

    (Quelle: Spiegel online)
Das überrascht nun wirklich nicht. Für die juristische Erkenntnis brauchte man wohl nicht zwingend mehrere Wochen, wohl aber für das Sich-Beruhigen einer empörten Medienöffentlichkeit

... link (0 Kommentare)   ... comment ...bereits 1377 x gelesen