Donnerstag, 11. März 2010
Der "Weltuntergang" vor dem Bundesverfassungsgericht
Seit September 2008 versuchen Tausende von Physikern in der Schweiz, einige winzige Elementarteilchen aufeinander prallen zu lassen (im Large Hadron Collider LHC bei CERN).

Nach einigen Wochen Betrieb haben sie die Anlage zunächst einmal geschrottet, indem mengenweise flüssiges Helium ausgelaufen ist. Inzwischen ist er wohl wieder in Betrieb.

Derweil haben einige Weltuntergangspropheten gegen den Betrieb geklagt, aus der Sorge, dass eventuell entstehende Mini-Schwarze-Löcher die Erde verschlingen könnten ("schlimmstenfalls in 5 Jahren"). Das Bundesverfassungsgericht hat jetzt entschieden, dass es sich damit nicht befassen wird. Bei all der heißen Luft, die die Weltuntergangspropheten abgelassen haben, war nicht genug Substanz:
Die Beschwerdeführerin rügt im Wesentlichen eine Verletzung ihres Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG. Hierzu macht sie sich die von einigen Wissenschaftlern geäußerte und von Teilen der Öffentlichkeit diskutierte Warnung zu eigen, potentiell katastrophale Entwicklungen seien im Anschluss an die mögliche Erzeugung Schwarzer Löcher im LHC möglich....
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Soweit die Kernaussage der Beschwerdeführerin. Da hat das Gericht sich dann nicht gescheut, sich die Finger schmutzig zu machen, und ist die Kernphysik eingestiegen:
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Nach einer in der kernphysikalischen Wissenschaft diskutierten Gravitationstheorie besteht bei Durchführung der Versuche ab einer bislang in Laborexperimenten noch nicht erreichten Energiemenge die Möglichkeit, sogenannte Miniatur-Schwarze-Löcher zu erzeugen. Dabei handelt es sich um stark komprimierte Materie, die unter bestimmten Bedingungen prinzipiell die Eigenschaft hat, durch Schwerkraft die sie umgebende Materie zu akkretieren, das heißt anzuziehen, dadurch weiter zu wachsen und dergestalt immer größere Bereiche ihrer Umwelt zu absorbieren. Nach überwiegender wissenschaftlicher Meinung birgt jedoch der Versuchsaufbau am CERN kein Gefahrenpotential. Einschlägige Fachpublikationen schließen insbesondere die Möglichkeit unkontrolliert wachsender Miniatur-Schwarze-Löcher aus. Bereits deren Erzeugung während der Versuchsreihen sei wegen der im LHC verwendeten Energiemenge nicht sicher, wenn auch erwünscht. Jedenfalls würden etwaig entstehende Miniatur-Schwarze-Löcher nach den Gesetzen des sogenannten Hawking’schen Strahlungstheorems sofort wieder verdampfen. Selbst wenn sie stabil wären, das Hawking’sche Theorem also widerlegt würde, zeitige dies keine nachteiligen Auswirkungen auf die Umwelt, weil der Teilchenbeschleuniger lediglich unter Laborbedingungen natürliche Prozesse reproduziere, die seit jeher unkontrolliert in der Erdatmosphäre abliefen, wenn kosmische Strahlung dort auf Luftmoleküle treffe. Diese natürlichen Prozesse hätten bislang keinerlei negativen Auswirkungen auf die Umwelt gehabt, was Rückschlüsse auf den Versuchsaufbau zulasse. Von alledem abgesehen, gebe es jedenfalls stellare Objekte, sogenannte Weiße Zwerge und Neutronensterne, die nicht existieren könnten, falls Miniatur-Schwarze-Löcher in der Lage wären, Himmelskörper zu zerstören....
Das kann man auch als Nichtphysiker sogar verstehen. Dann kommt es für die Beschwerdeführerin aber noch einmal ganz deutlich:
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Zur schlüssigen Darlegung möglicher Schadensereignisse, die eine Reaktion staatlicher Stellen erzwingen könnten, genügt es insbesondere nicht, Warnungen auf ein generelles Misstrauen gegenüber physikalischen Gesetzen, also gegenüber theoretischen Aussagen der modernen Naturwissenschaft zu stützen (vgl. ...). Praktisch vernünftige Zweifel setzen - wenigstens - die Auseinandersetzung mit Gegenbeispielen, also Widerlegungsversuchen der jeweiligen Aussagen voraus. Namentlich im Bereich der theoretisch weit fortgeschrittenen Naturwissenschaften erfordern vernünftige Zweifel zudem ein hinreichendes fachliches Argumentationsniveau. Die schlüssige Darlegung einer Warnung kann jedenfalls nicht auf solche Hilfserwägungen abstellen, die ihrerseits mit dem bewährten, anerkannten Hintergrundwissen des jeweiligen Faches in Widerspruch stehen. Die Beschwerdeführerin unterschreitet diese Anforderung, soweit sie neben einem Theorem, auf welches es für die Sicherheit des LHC nicht ankommt, diverse Hilfserwägungen („Atto-Quasar“, „Superfluidität“) vorträgt, von denen die „Weltgefahr“ zwar ausgehen könnte, die aber - jedenfalls was diese Ergänzungen angeht - nach ihrem eigenen Vortrag bislang weder wissenschaftlich publiziert noch auch nur in Umrissenen theoretisch ausgearbeitet sind.
(Quelle: Bundesverfassungsgericht Beschluss vom 18.02.2010)
So kann man also auch ganz höflich jemandem erklären, dass er (konkret: sie) spinnt. Notabene: Prozesskostenhilfe gab es keine.

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Die Einschätzung der Risiken moderner naturwissenschaftlicher Experimente ist natürlich auch immer durch bestimmte Interessen geprägt. Ich würde die Bedenken der Klägerin nicht so einfach abtun.
Ihre Bedenken waren vielleicht nicht wissenschaftlich fundiert, sondern sie hatte eine allgemeine Abneigung gegen die Naturwissenschaften. Doch wenn letztere Akzeptanz erwarten, dann sollten sie diese Bedenken nicht einfach abtun. Wer weiß schon, wie sich ein schwarzes Loch entwickelt, sei es anfangs auch noch so klein?
Es gab auch ursprünglich Unbedenklichkeitsbescheinigungen für die grüne Gentechnik. Heute gibt es berechtigte Kritik daran und kaum ein Verbraucher würde wissentlich genmanipulierte Produkte kaufen.
Ein Gericht ist sicher nicht die richtige Instanz, um solche Fragen zu klären und Akzeptanz zu fördern. Aufgefordert hierzu sind die Wissenschaftler, auch, indem sie Bedenken aufgreifen und ernst nehmen und ihre Argumente allgemeinverständlich erklären.

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Eben genau das:
...Bedenken ... allgemeinverständlich erklären.
(sorry wegen des unkorrekten Zitierens)
Da sehe ich vor allem die (Kern-)physiker und Wissenschaftsjournalisten in der Pflicht, die mit dem Grusel "wir wissen auch nicht so genau, was passiert, wenn ..." auf publikumswirksame Schlagzeilen zielen.

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