Dienstag, 17. Oktober 2006
Reinhard Goebel und MAK
Andere (Sopran) hatten es schon früher mitgekriegt. Den Autor lässt erst eine Meldung im Klassikforum am letzten Samstag in WDR 3 hochschrecken. Nachgegoogelt liest man auf der Seite von musica antiqua Köln" eine Meldung vom 2. Mai 2006:
    "02.05.2006: Musica Antiqua Köln wird aufgelöst

    Nach jahrzehntelanger Erfolgsgeschichte zieht sich Reinhard Goebel (54) aus gesundheitlichen Gründen von seiner Tätigkeit als Violinist zurück.

    Die Erkrankung der linken Hand, die bereits 1991 seine Karriere als Konzertmeister von Musica Antiqua Köln vorübergehend unterbrochen hatte, zwingt ihn jetzt zur gänzlichen Aufgabe seiner Spieltätigkeit. Somit wird auch das von Reinhard Goebel 1973 gegründete und geleitete Ensemble Musica Antiqua Köln in seiner jetzigen Form zum Ende des Jahres 2006 aufgelöst.
    ...
    Reinhard Goebel wird sich in Zukunft gänzlich seiner Dirigiertätigkeit vor allem ‚moderner’ Orchester widmen, die er ja bereits in den letzten Jahren immer mehr ausgebaut hat.
    (Quelle: musica antiqua köln)
Aufschlussreich: Neben den allgemein zitierten gesundheitlichen Gründen berichtet das Kirsten Lindenau im Klassikforum auch über die Unzufriedenheit Goebels mit der Entwicklung der Alten Musikszene und über Ärger mit der Plattenfirma "Deutsche Grammophon". Alles gute Gründe aufzuhören.

Über den Umgang des Ausnahmegeigers mit seinem Ensemble (nach etlichen Stunden mühsamer und harter, nicht immer nur harmonischer Probe hört sich das ständige Mantra "hoch die Tassen" - gemeint sind die Geigen - an wie ein Tritt in den Hintern) und mit seiner Umwelt mag man streiten. Nur selten ließ er einen im Unklaren über das, was er von der Musik, seinen Mitmusikern oder auch den Chormitgliedern hielt.
    Exkurs in die goldenen 80er Jahre:
    Unauslöschlich in der Erinnerung des Autors ist eine denkwürdige Situation auf der Rückfahrt von einem Konzert in Lübeck, nachts gegen 1 Uhr im Bus: Eine junge, hübsche Sopranistin und angehende Abiturientin lässt die schon seit längerem angeregte Unterhaltung plötzlich laut werden. Reinhard Goebel verlässt seinen Platz, geht nach vorne mit der empörten Bemerkung "Die ist ja pubertär". Ganz rekonstruieren ließ sich der Hergang später nie. Die Abiturienten versuchte noch wenigstens fünf Minuten lang, den abgerisssenen Diskussionsfaden quasi mit Gewalt wieder aufzunehmen. Vergeblich. Die Wut, die in der konzentrierten Debattierlust der Abiturientin steckte, gab Anlass zu vermuten, dass da im Untergrund der Auseinandersetzung unvereinbare sexuelle Orientierungen aufeinander geprallt waren...
Zurück zur Gegenwart: Auch wenn man gut verstehen kann, dass er aufhört, ist es einfach schade. Denn die Musica Antiqua Köln (MAK) hat unvergessliche Musik gemacht. Nur einige Beispiele:
  • Das 3. Brandenburgische Konzert, in Rekordgeschwindigkeit eingespielt, sorgte für völlig neue Bacherfahrungen
  • Telemannschen Tafelmusiken wandelten sich von einer Gebrauchs- und Hintergrundmusik zu hoch spannender Musik, die einen die Lektüre weglegen lässt.
  • Unbekannte Musik von unbekannten Komponisten der Barockzeit (wer wusste früher schon was von Heinrich Ignaz Franz Biber) wurde zu einer interessanten (angenehmen!) Hörerfahrung
Zum Abschied, bevor die Trauer überhand nimmt, erinnert Varzil daran, dass es CDs gibt.

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