Dienstag, 16. Mai 2006
Gedanken zu Eichendorffs "Winterlied"
varzil, 12:50h
Auch wenn es nicht gerade Winter ist, sondern ein wunderschöner Frühling. Dieser Text geht einem - wenn man ihn an sich heran lässt - nahe:
Mit den fallenden Blütenflocken kippt die Stimmung, ähnlich wie beim Fußballspiel mit einem Tor noch knapp vor dem Halbzeitspfiff. Die "fallenden Blütenflocken" stehen natürlich für den Frühling, sind aber aber auch schon ein Signal, dass das Wachsen und Gedeihen unweigerlich zu Tod und Vergängnis führt. Rein optisch erinnern Kirschblütenblätter ganz zwanglos auch an Schneeflocken.
Winter und Tod beherrschen die zweite Hälfte des Gedichts. Das Ich erwacht aus dem Traum vom Frühling, es ist Nacht, der Mond schimmert im falben Schein. Soweit würde das zwar auch noch zur Frühlingsstimmung passen; aber dann nimmt das Ich in diesem unwirklichen Licht wahr, dass ihm das Land, was eben noch vor Vaters Haus ausgebreitet lag, ein "fremdes Land" ist. Schlagartig ist die Frühlingsstimmung verschwunden. Was wie Blütenflocken aussah, ist tatsächlich Eis, die Gegend, die in falbes Mondlicht getaucht ist, ist in Wirklichkeit verschneit.
Das verstörte Ich versucht eine Rückbesinnung auf sich selbst. Aber auch da ist nichts so, wie es war. Das Ich ist alt geworden, symbolisiert durch das weiße Haar.
Viel schrecklicher kann ein Traum nicht enden:
eben noch Frühling, ist es jetzt Winter. Sommer und Herbst finden nicht statt. Eben war es noch mildes Frühlingswetter, schon ist es Nacht und kalt - ein Übergangswetter gibt es nicht. Eben war man noch "jung", schon erwacht man und ist alt - es gibt keine Zeit des Erwachsen-Seins.
Fazit: Ein hammerharter Text zum Thema "carpe diem".
Der Text kennt keine bürgerliche Bedächtigkeit und Betulichkeit, vielmehr wird das romantisch vom Frühling träumende Ich plötzlich in den Winter versetzt. Die Welt ist nicht schön und vertraut, sondern kalt, hart und fremd. In dem Moment, in dem das Ich sich selbst wahrnimmt, ist das eigene Leben praktisch vorbei, verträumt sozusagen.
Eine harte Botschaft, an anderer Stelle etwas lakonischer formuliert:
Winterlied
Mir träumt´, ich ruhte wiedervor meines Vaters Haus
und schaute fröhlich nieder
ins alte Tal hinaus.
Die Luft mit lindem Spielen
ging durch das Frühlingslaub,
und Blütenflocken fielen
mir über Brust und Haupt.
Als ich erwacht, da schimmert
der Mond vom Waldesrand,
im falben Scheine flimmert
um mich ein fremdes Land.
Und wie ich ringsher sehe:
Die Flocken waren Eis,
die Gegend war vom Schnee,
mein Haar vom Alter weiß.
(Autor:Joseph von Eichendorff)
Mit den fallenden Blütenflocken kippt die Stimmung, ähnlich wie beim Fußballspiel mit einem Tor noch knapp vor dem Halbzeitspfiff. Die "fallenden Blütenflocken" stehen natürlich für den Frühling, sind aber aber auch schon ein Signal, dass das Wachsen und Gedeihen unweigerlich zu Tod und Vergängnis führt. Rein optisch erinnern Kirschblütenblätter ganz zwanglos auch an Schneeflocken.
Winter und Tod beherrschen die zweite Hälfte des Gedichts. Das Ich erwacht aus dem Traum vom Frühling, es ist Nacht, der Mond schimmert im falben Schein. Soweit würde das zwar auch noch zur Frühlingsstimmung passen; aber dann nimmt das Ich in diesem unwirklichen Licht wahr, dass ihm das Land, was eben noch vor Vaters Haus ausgebreitet lag, ein "fremdes Land" ist. Schlagartig ist die Frühlingsstimmung verschwunden. Was wie Blütenflocken aussah, ist tatsächlich Eis, die Gegend, die in falbes Mondlicht getaucht ist, ist in Wirklichkeit verschneit.
Das verstörte Ich versucht eine Rückbesinnung auf sich selbst. Aber auch da ist nichts so, wie es war. Das Ich ist alt geworden, symbolisiert durch das weiße Haar.
Viel schrecklicher kann ein Traum nicht enden:
eben noch Frühling, ist es jetzt Winter. Sommer und Herbst finden nicht statt. Eben war es noch mildes Frühlingswetter, schon ist es Nacht und kalt - ein Übergangswetter gibt es nicht. Eben war man noch "jung", schon erwacht man und ist alt - es gibt keine Zeit des Erwachsen-Seins.
Fazit: Ein hammerharter Text zum Thema "carpe diem".
Der Text kennt keine bürgerliche Bedächtigkeit und Betulichkeit, vielmehr wird das romantisch vom Frühling träumende Ich plötzlich in den Winter versetzt. Die Welt ist nicht schön und vertraut, sondern kalt, hart und fremd. In dem Moment, in dem das Ich sich selbst wahrnimmt, ist das eigene Leben praktisch vorbei, verträumt sozusagen.
Eine harte Botschaft, an anderer Stelle etwas lakonischer formuliert:
Der alte Musikant
Es schüttelt die welken Blätter der Wald,mich friert, ich bin schon alt.
Bald kommt der Winter und fällt der Schnee,
bedeckt den Garten und mich und alles, alles Weh.
(Autor:Joseph von Eichendorff)
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