Dienstag, 2. Mai 2006
Orpheus - ein "Unhappy End"
"Orpheus in der Unterwelt" bzw. "Orpheus und Eurydike" ist ein tragischer antiker Stoff, zumindest von Alters her.

Orpheus ist Sohn des Apolls, oder aber auch Sohn des Thrakerkönigs ... Vor allem ist er begnadeter Sänger, und wie so oft hat der Erfolg viele Väter.

Sodann war er mit der Nymphe Eurydike zusammen - heiß verliebt und glücklich, bis sie plötzlich und unerwartet an einem Schlangenbiß starb. Sie konnte allerdings in dem Moment nicht auf Schlangen achten, weil sie vor dem Göttersohn Aristeus, der ihr nachstellte, weglief.

Orpheus konnte sich mit dem jähen Tod seiner Geliebten nicht abfinden. Mit seinem schauderschönen Gesang hat er wohl seine Umwelt so sehr genervt/bezirzt/betört, dass die Götter ihm erlaubten, sich in die Unterwelt zu begeben, um dort mit Persephone über eine Rückkehr von Eurydike zu verhandeln.

Angerührt von seinem schönen Gesang klappt das auch, allerdings nur unter der Bedingung, dass Orpheus sich Eurydike erst in der Oberwelt wieder zuwendet. (Wundervolle und in sich durchaus widersprüchliche Details gibt es dazu in der Wikipedia auf Deutsch und auf Englisch)

Dummerweise hat Eurydike von dem Deal keine Ahnung. Anstatt einfach und brav ihrem Geliebten zu vertrauen - der sie schließlich von den Toten auferweckt hat und aus der Unterwelt entführen will - macht sie die Dinge kompliziert: da Orpheus sie nicht anschauen und nicht mit ihr reden will - er darf ja nicht -, zweifelt sie an seiner Liebe. Sie will lieber sterben als ungeliebt ins Leben zurück.

Das ist zwar in sich schlüssig, hat aber katastrophale Folgen. Orpheus sieht sich so unter Druck gesetzt, dass er sich ihr zuwendet. Konsequenz: Eurydike stirbt ein zweites Mal.

In der Antike geht es tragisch weiter: Orpheus verzweifelt, die Götter sind stur, Orpheus wendet sich der Päderastie zu und wird Vegetarier, Monotheist und ist wohl auch sonst verhaltensauffällig. Jedenfalls reißen ihn einige Mänaden, Dionysos-Anhängerinnen, in Stücke, nachdem das Steinigen und Schlagen mit Stöcken nicht geklappt hat, weil die Steine und die Stöcke dem schönen Gesang von Orpheus lieber zuhören wollten.
Das Bild von Dürer zeigt Orpheus' Tod und stammt aus Wikipedia.

In der Oper "Orphee" von Christoph Willibald Gluck nimmt die Geschichte ein anderes Ende: die Götter erkennen die tiefe Liebe zwischen Orpheus und Eurydike als Grund für eine zweite Wiederauferstehung an. Orpheus und Eurydike leben glücklich bis an ihr Ende weiter.

In der Aufführung der Bonner Oper hatte "Orphee" am Sonntag, den 30.4.2006 Premiere. (Das Szenenbild links stammt vom
Bonner Generalanzeiger und zeigt "Trauer um die verstorbene Gattin": L`Amour (Sigrùn Palmadóttir), Euridice (Julia Kamenik) und Orpheus (Susanne Blattert).
Erstaunlicherweise nimmt Inszenierung der französischen Fassung von 1774 erneut eine tragische Wende: Orpheus hat sich nach dem zweiten Tod vor lauter Verzweiflung geblendet, die Götter erwecken Eurydike daraufhin zum dritten Leben. In der Bonner Inszenierung lässt dann allerdings Eurydike ihren bis eben heißgeliebten Orpheus einfach stehen und verschwindet mit Amor im Bühnenhintergrund. Orpheus bleibt blind und blutend in der Unterwelt zurück ...
    Kein Wunder, dass er in der Antike seine Begierden daraufhin den heranwachsenden Jungen widmet.
Das eigenartige Ende muss man offensichtlich nicht mehr verstehen, und die Musik sagt darüber auch nichts. Was Herr Hilsdorf, der Regisseur vieler schöner Bonner Inszenierung und auch für diese Oper verantwortlich, der Zeitung dazu verraten hat, macht es auch nicht klarer:
    "Es geht um den mysteriösen Tod der Frau des berühmten Sängers Orpheus. Gefunden wird ihre Leiche in der Kirche Saint-Sulpice, wo die Umstände ihre Todes untersucht werden. Doch während die Polizei ihrer Arbeit nachgeht, holt Orpheus den berühmten Magnetiseur Franz Anton Mesmer herbei, der mit seinen Mitteln die Tote zurück ins Leben holen soll...."
    (Quelle: Premierenankündigung im Generalanzeiger online)
Zu der Aufführung der Oper kann man ohne alle Abstriche sagen, dass sie viel schöne Musik hat. Die Inszenierung hat mit ihrem Verzicht auf ein Happy-End einen nicht verständlichen Schluss produziert - da der Rest aber weitgehend schlüssig erzählt und gespielt wird, würde einem ein schöner und gelungener Opernabend in Erinnerung bleiben, wenn da nicht das Drama nach dem Schlussapplaus gewesen wäre.

Denn dieses Nachspiel ruiniert auch all denen, die die eigenartige "bad end"-Fassung von Hilsdorf nicht mitbekommen haben, jegliches Happy-End-feeling: nach ca. 8 Minuten Applaus greift sich die Eurydike-Darstellerin ein Mikrofon und verliest dem Gluck-seligen Premierenpublikum einen Appell zur Unterstützung der Bonner Bühnen:

Man hört von Haushaltsplänen und -entwürfen, von der "Vernichtung" der Bonner Kammerspiele, des Tanztheaters und man fragt sich unwillkürlich, was das alles mit Orpheus zu tun hat. Alles auf einmal sehr unhappy - bis man dann nach einem mehr oder weniger freundlichen Schlusswort nach Hause oder auf die Premierenfeier geschickt wird - und unterschreiben soll man natürlich auch.

Die Oper ist damit um ein mieses Nachspiel zu der ohnehin unvorhersgesehen unglücklich endenden Oper erweitert. Die Zeichen der Zeit stehen einem Happy-End offensichtlich entgegen.

Zumindest das Bier der Premierenfeier war allerdings ok - für ein Happy-End war es allerdings etwas wenig...

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