Mittwoch, 27. September 2006
Die Pioneer-Anomalie
Pioneer 10 und 11 waren Raumsonden, die in den 70er Jahren starteten und das äußere Sonnensystem untersuchen sollten. Wegen der außerordentlichen Beschleunigung, die nötig war, um dort hin zu kommen, war von Anfang an klar, dass die Sonden unser Sonnensystem verlassen würden. Deshalb hatte man auf die Sonden ein Piktogramm gemalt, das den Autor damals schon faszinierte, das aber eigentlich dazu gedacht war, irgendwelchen außerterrestrischen Nachbarn eine Vorstellung von dem Absender der Sonden zu geben:
pktogramm vonPioneer 10
(Bild bei univers-revew.ca)
    Anmerkung:
    Voraussichtlich werden die Sonden erst in mehr als 4 Millionen Jahren benachbarte Sterne erreichen - ob dieses Bild also jemals gelesen wird, werden wir nie erfahren.
Seit längerem hatte man nichts mehr über die Sonden gelesen und vermutete sie irgendwo da draußen im Weltraum, wo es richtig dunkel ist. Jetzt tauchen sie wieder in den Medien auf. Und auf den ersten Blick klingt es nach "urban legend", was Spiegel online zu den Sonden schreibt:
    "... Pioneer 10 und 11 sind nicht da, wo sie eigentlich sein sollten. Irgendetwas hält sie zurück. Eine sehr kleine, aber deutlich messbare Kraft. Jede der beiden Sonden ist heute etwa 400.000 Kilometer von dem Ort entfernt, an dem sie sein müsste, ginge alles mit rechten Dingen zu. Oder besser gesagt, ginge es allein mit den heute bekannten Dingen zu.

    Die offensichtliche Abbremsung der Sonden ist extrem gering. Sie entspricht einem Zehnmilliardstel der Beschleunigung auf der Erdoberfläche. Die Bahnabweichung ist bei beiden genau gleich groß, obwohl sie sich fast in entgegengesetzter Richtung aus dem Sonnensystem entfernten. Was also ist los da draußen? ..."
    (Quelle: Spiegel online)
Es ist schön zu lesen, was Eugen Reich da verfasst hat. Doch erst einmal mag man es gar nicht glauben. Ein Blick in die Wikipedia überzeugt dann aber doch:
    "...Die Pioneer-Anomalie beschreibt ein bisher noch ungeklärtes Abweichen der 1972 und 1973 gestarteten NASA-Sonden Pioneer 10 und Pioneer 11 von deren berechneten Flugbahnen. Dieses Phänomen ist derzeit noch ein Rätsel für die Wissenschaftler. Als Lösungsvorschläge kommen eine ganze Bandbreite von Erklärungen in Frage: von so simplen Effekten wie einem Schub durch austretendes Gas bis hin zu einem unbekannten neuartigen physikalischen Effekt, der die Physik verändern könnte. ...
    (Quelle: Wikipedia zur Pioneer-Anomalie)
Dank eines Links im Wikipedia-Artikel kann man sich in einer mehr als 50 Seiten umfassenden Studie aus April 2002 mit dem Thema richtig vertraut machen (als pdf-Dokument). Verfasser sind die Leiter des Jet Propulsion Laboratory (JPL):
    Das Jet Propulsion Laboratory oder kurz JPL baut und steuert Satelliten und Raumsonden für die NASA. Es ist eine der angesehensten Raumfahrteinrichtungen der Welt.

    Das JPL gehört zum California Institute of Technology (Caltech) in Pasadena (Kalifornien); unter seiner Federführung wurden die erfolgreichsten Raumsonden-Projekte der NASA durchgeführt. Um den Kontakt zu den Sonden aufrecht erhalten zu können, betreibt das JPL das Deep Space Network...."(Quelle: Wikipedia)
Sie haben dort minutiös ihre Untersuchungsergebnisse zusammengetragen und folgende Zusammenfassung gegeben:
    "Our previous analyses of radio Doppler and ranging data from distant spacecraft in the solar system indicated that an apparent anomalous acceleration is acting on Pioneer 10 and 11, with a magnitude aP 8×10-8 cm/s², directed towards the Sun. Much effort has been expended looking for possible systematic origins of the residuals, but none has been found. A detailed investigation of effects both external to and internal to the spacecraft, as well as those due to modeling and computational techniques, is provided. We also discuss the methods, theoretical models, and experimental techniques used to detect and study small forces acting on interplanetary spacecraft. These include the methods of radio Doppler data collection, data editing, and data reduction.

    There is now further data for the Pioneer 10 orbit determination. The extended Pioneer 10 data set spans 3 January 1987 to 22 July 1998. [For Pioneer 11 the shorter span goes from 5 January 1987 to the time of loss of coherent data on 1 October 1990.] With these data sets and more detailed studies of all the systematics, we now give a result, of aP = (8.74 ± 1.33) × 10-8 cm/s². (Annual/diurnal variations on top of aP , that leave aP unchanged, are also reported and discussed.) ..."
    (Quelle: John D. Anderson, Philip A. Laing, Eunice L. Lau, Anthony S. Liu, Michael Martin Nieto, Slava G. Turyshev in "Study of the anomalous acceleration of Pioneer 10 and 11")
Man erfährt einiges über die Pioneer-Mission - und insbesondere lernt man, an was man alles denken kann, bevor man zu dem Ergebnis kommt, dass man nicht weiß, was da los ist ...

Unwillkürlich denkt man an die wahrhaft grundlegende Erkenntnis von Sokrates
    "Ich weiß, dass ich nichts weiß".
Update Frühjahr 2012
Wikipedia ist inzwischen schlauer:
In den Pioneer-Sonden erzeugen Radioisotopenbatterien elektrische Energie und produzieren Wärme von 2 bis 5 kW. Vieles deutet darauf hin, dass die Wärme nicht isotrop abgestrahlt wird. Stattdessen wird sie von der Rückseite der Parabolantenne reflektiert. Da die Antenne zur Erde ausgerichtet ist, lenkt sie die Strahlung in Flugrichtung und verursacht eine Verzögerung. Nimmt man eine Wärmequelle von 3 kW an und eine Masse der Sonde von 250 kg, erhält man:
Schub = Strahlungsleistung / Lichtgeschwindigkeit: 10 µN
Verzögerung = Schub/ Masse: 4×10−8 m/s²
Unter der Annahme, dass nur ein Teil der Strahlung in Flugrichtung fokussiert wird, liegt die Abschätzung in der Größenordnung des beobachteten Effekts von 1·10−9 m/s².

Im April 2011 konnte ein Team portugiesischer Forscher auf Basis neuer, detaillierter Modelle für die Wärmeabstrahlung mittels Computersimulationen den Effekt vollständig auf eine ungleichmäßige Wärmeabstrahlung, insbesondere der Reflexion der Wärmestrahlung an den unterschiedlichen Bauteilen der Sonde zurückführen. Ebenfalls im April 2011 präsentierten Bremer Forscher ein auf der Finite-Elemente-Methode basierendes Verfahren, mit dem die gemessene anomale Beschleunigung komplett als thermaler Rückstoßeffekt beschrieben werden kann.


(Quelle: Wikipedia zur naheliegenden Lösung)
na dann - wir wissen jetzt also ein bisschen mehr.

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