Freitag, 21. August 2009
Die Moral von Lockerbie
Am 21. Dezember 1988 stürzte ein Jet der Pan Am über Lockerbie in Schottland ab. Alle Insassen (259) sowie 11 Einwohner aus Lockerbie starben. Ursache des Flugzeugabsturzes war eine Bombenexplosion an Bord.

Wegen des Bombenanschlags wurde ein Geheimdienstoffizier Abdelbaset Ali Mohmed Al Megrahi im Jahr 2001 zu lebenslanger Haft, später zu "mindestens 27 Jahren" Haft verurteilt. Die Prozessgeschichte wirkt allerdings etwas dubios. Insbesondere welchen Tatbeitrag Megrahi konkret geliefert hat, bleibt unklar (mehr in der deutschen Wikipedia zum Lockerbie-Anschlag).
Selbst der UN-Beobachter des Prozesses vermutete Manipulation. Libyens Staatschef Muammar al Ghaddafi stimmte zwar hohen Entschädigungs-Zahlungen zu. Doch Ghaddafis Sohn Saif, als künftiger starker Mann Libyens gehandelt, sagte der BBC im August: "Ja, wir haben einen Brief geschrieben, dass wir verantwortlich sind. Aber das heißt nicht, das wir es wirklich waren."

Mit einem Lächeln fuhr der Ghaddafi-Sohn fort: "Was sollten wir machen. Ohne diesen Brief wären die Sanktionen gegen uns nicht aufgehoben worden." Demnach war der von Libyen ausgelieferte und dann verurteilte Megrahi Bauernopfer in einem politischen Schachspiel. Libyen wollte Sanktionen loswerden, die USA und Großbritannien wollten einen Schuldigen. Megrahi, inzwischen schwer an Krebs erkrankt, hat die Tat immer bestritten.
(Quelle: tagesschau.de vom 21.12.2008)

Gestern nun hat Schottland den an Prostata-Krebs erkrankten Megrahi freigelassen, mit der Begründung, er habe nur noch wenige Monate zu leben.

Zu den Protesten aus den USA gegen die Freilassung erwiderte der schottische Justizminister die denkwürdigen Sätze:
Sicherlich habe der Verurteilte seinen Opfern gegenüber keine Menschlichkeit gezeigt. Dies sei aber kein Grund für die schottische Regierung, dem Schwerkranken dies jetzt zu verweigern, so MacAskill...
(Quelle: tagesschau.de)
Dies ist ein der europäischen Rechtstradition wahrhaft würdiger Satz.

Wenn da nicht ein denkwürdiger Kommentar von Wolfgang Koydl in der Süddeutschen Zeitung stünde:
Es geht nicht um Moral oder Mitgefühl - sondern um Investitionen in Multimillionenhöhe: Die Schotten lassen den Lockerbie-Attentäter ziehen, weil sie auf Libyens Öl hoffen.

Schottlands Erdgasvorkommen in der Nordsee gehen rapide zur Neige, vor der Küste Libyens aber sind gerade gigantische neue Reserven an Gas und Öl entdeckt worden. Mehr muss man nicht wissen, wenn man die Begnadigung des Lockerbie-Bombers Abdelbasset Ali al-Megrahi durch die Regierung in Edinburgh und den daraus resultierenden transatlantischen Streit mit Washington verstehen will.
(Quelle: Süddeutsche Zeitung)
So einfach wird man nach der gestrigen Euphorie wegen der angeblichen moralischen Überlegenheit des alten Europas auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt.

Das hat weh getan.

Varzil hingegen vermutet, dass die schottische Justiz so die Bestattungskosten sparen will.

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