Mittwoch, 11. Januar 2006
Informationsfreiheit
Was auch immer eine "Informationsfreiheit" sein mag:
    § 1 Informationsfreiheitsgesetz

    Grundsatz

    (1) Jeder hat nach Maßgabe dieses Gesetzes gegenüber den Behörden des Bundes einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen.
    ...
    (2) ...
    (Quelle: bundesrecht.juris.de)
Ob man das als so entscheidend ansehen mag wie Herbert Prantl, der seine Begeisterung in der Süddeutschen kaum im Zaume halten kann?
    " ...Es gibt Gesetze, die werden angerührt wie Fertigsuppen und sind in null Komma nichts auf dem Tisch. So schmecken sie dann auch; die Sicherheitsgesetze der vergangenen Jahre sind ein elendes Beispiel dafür.

    Es gibt aber auch Rechte, die lagern vergessen im Keller der Geschichte und brauchen ewig, bis sie Gesetz werden. Im Fall des deutschen Informationsfreiheitsgesetzes hat diese Ewigkeit besonders lang gedauert, nämlich von 1830 bis heute.

    Im Jahr 1830 erschien in Carl von Rottecks Zeitschrift Allgemeine politische Annalen unter der Verfasserangabe "X" der wunderbare Aufsatz "Über die Öffentlichkeit", der heute so unbekannt ist wie sein Autor Carl Gustav Jochmann.

    Dieser Advokat aus Riga ist der Ahnherr des Informationsfreiheitsgesetzes, das soeben in Kraft getreten ist und seit dem 1. Januar 2006 ein neues Bürgerrecht gewährt: Jeder hat jederzeit ein Recht auf Einsicht in amtliche Akten, Unterlagen, Dateien und Registraturen. Man muss nicht mehr, wie bisher, persönlich und konkret in einem laufenden Verwaltungsverfahren betroffen sein, um bei den Behörden Akteneinsicht zu bekommen.

    Neugier genügt - weil Neugier auf die öffentlichen Angelegenheiten eine Grundlage der Demokratie ist und weil ohne die Kenntnis von den öffentlichen Angelegenheiten der Bürger nur ein halber Bürger ist.

    ...
    (Quelle: süddeutsche.de)
Der seit Jahrzehnten in der Verwaltung arbeitende Autor bleibt skeptisch. In einer durch die Verwaltungsgerichte penibel überprüfbaren Exekutive werden viele Dinge ohnehin nur in die Akten aufgenommen, um den Anschein der Rechtmäßigkeit zu dokumentieren.

Beispielsweise werden bei Einstellungs- oder Beförderungsentscheidungen gerichtsfeste Gründe in die Akten aufgenommen, wenn man jemanden nicht einstellen oder befördern will - die eigentlichen Gründe ("nicht schon wieder eine frisch verheiratete Frau um die 30") bleiben im Verborgenen.

Das hat mit Arkan-Prinzip nichts zu tun, sondern ist einfach pragmatisch. Zwar kriegt man Schreibkräfte noch auch kurzfristig und für die Zeit einer Elternschaft. Jedoch leidet jedes Sachgebiet, wenn es mehrfach hintereinander brachliegt, weil die zuständige Sachbearbeiterin ihr nächstes Kind kriegt oder die neu eingestellte Kraft knapp nach Ablauf der Probezeit auch einen Schwangerschaftsattest vorlegt.

Man kann und darf das nicht als Ablehnungsgrund heranziehen. Aber oft genug ist es der wahre Grund - zumindest wenn die Kolleginnen und Kollegen, die das ausfallende Sachgebiet mitbetreuen müssten, rebellisch werden. Auf dem Papier werden dann nachher ganz andere Gründe für eine Auswahlentscheidung dokumentiert.

Fazit:
Informationsfreiheit ist nicht die Freiheit, die Wahrheit zu erfahren, sondern nur die Freiheit, zu erfahren, was in den Akten steht. Herr Prantl ist da optimistischer bis hin zur Blauäugigkeit:
    "...Das Informationsfreiheitsgesetz ist ein "Verwaltungsinformations-Zugangsgesetz" und gewährt ein Recht, das, obwohl es in weltweit fünfzig Ländern existiert, in Deutschland immer noch ungläubiges Erstaunen und Befremden auslöst, zumal bei den betroffenen Behörden.

    Die neue Offenheit widerstrebt nämlich einem alten Grundzug deutscher Verwaltung, dem Arkanprinzip. Danach war bisher grundsätzlich alles vertraulich und dem Amtsgeheimnis unterworfen, was sich in einer Behörde tut.
    (Quelle: süddeutsche.de)
Und da hat er natürlich recht, der Herr Prantl: das Arkanprinzip ist wirklich ein uraltes Grundprinzip der Verwaltung, das wohl schon seit einigen 40 Jahren nicht mehr gilt - aber nichts ist ja so beständig wie eine alteingefahrene Verwaltungspraxis ...

Varzil vermutet allerdings, dass schon die Geheimen Räte des 18. und des 19. Jahrhunderts die eigentlichen Gründe des Verwaltungshandelns aus einer ähnlichen Motivationslage nicht offenkundig machen wollten. Nur haben sie sich offen dazu bekannt, ihre Akten geheim zu halten. Heute wird die "Offenheit" als "Freiheit" vermarktet und kommt mit dem Beigeschmack der "Wahrheit" daher.

Und leider ist eben nichts falscher als dieser Beigeschmack.

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