Mittwoch, 15. Februar 2006
Karikatur, Fußball und Religion
Bislang war Fußbalspiele eine eher weltliche Veranstaltung, bei der jeder mitreden, mittrinken, mitgrölen konnte. Fußball ist einfach nichts, was sich unmittelbar mit religiösen Begriffen wie Mysteriosum Numinosum beschreiben ließe, auch wenn manche Metaphern religiöse Anleihen machen ("XYZ, Du Fußball-Gott!", "der heilige Rasen von Wembley"). Wer da Fußball für etwas Mystisches hält, hat z.B. noch nie die Südkurve vom FC Köln live erlebt, wo schon mal vollgepinkelte Bierdosen durch die Luft flogen.

Aber nichts ist so unumstößlich, als dass man nicht auch ein Gegenbeispiel finden könnte.
    "... Iran hat vom "Tagespiegel" eine schriftliche Entschuldigung für eine Karikatur mit iranischen Fußballern gefordert. Der Zeichner hat nach Angaben der Chefredaktion außerdem Morddrohungen erhalten.

    In dem Brief an die Zeitung fordert die iranische Botschaft neben einer Entschuldigung auch Wiedergutmachung. Es seien "die notwendigen Schritte für eine Wiedergutmachung dieses unmoralischen Aktes zu unternehmen", zitiert die Nachrichtenagentur dpa aus dem Schreiben.

    Die am Freitag veröffentlichte Karikatur habe in Iran heftige Reaktionen ausgelöst, heißt es in dem Schreiben. "Die Botschaft der Islamischen Republik Iran in Berlin möchte Ihnen mitteilen, dass die Veröffentlichung der beleidigenden Karikatur bei allen Sportlern, beim iranischen Volk, und bei Sportfreunden in der ganzen Welt sowie auch bei den in Deutschland lebenden Iranern Abscheu und Empörung ausgelöst hat."...
    (Quelle: Spiegel-online am 13.2.2006)
    Kommentar zu Spiegel online:
    Die Tatsache, dass Henryk M. Broder die Vorkommnisse zwar kommentiert, die Karikatur aber so klein abbildet, dass man sie nicht ordentlich erkennen kann, könnte man entweder als Respekt vor dem Urheberrecht von Herrn Stuttmanns Karikaturen oder aber auch als schlichte Feigheit werten.
Zurück also nun zum eigentlichen Geschehen:
Im Berliner Tagesspiegel erschien am 10.2.2006 folgende Karikatur:
Für jeden eigentlich offensichlich geht es in der Karikatur um die Frage, welchen Sinn es haben kann, Bundeswehrsoldaten bei Fußballländerspielen einzusetzen. Die Botschaft heißt: Wenn die Iraner mit Selbstmordattentätern als Fußballer kommen, brauchen wir die Bundeswehr - UND SONST ABER EBEN GERADE NICHT!

Und nun erklärt Euch doch bitte mal, ihr werten Iranerinnen und Iraner: schickt ihr tatsächlich Selbstmordattentäter-Fußballer? Nein, das tut ihr ganz selbstverständlich nicht? Was empört Euch dann?

Nach Information der iranischen Botschaft ist die Kariaktur an sich Anlass zur Empörung. Es genügt, dass Iraner als Beispiel für vorgeblich gewalttätige Selbstmordattentäter-)Fußballer herhalten. Und schon protestieren sie dagegen.

Um nicht falsch verstanden zu werden: dieser Protest ist ebenso berechtigt wie viele andere (hundert-)tausende Protestierende auf der Straße. Jedermann hat das Recht, Karikaturen falsch zu verstehen und dann dagegen zu protestieren.

Nur:
Dass diese - mit Verlaub - einfältige Sicht der Karikatur zur offiziellen Staatspolitik wird, ist für ein Volk, das mit gutem Grund und Stolz auf eine mehr als 2500 Jahre alte Zivilisations- und Kulturgeschichte zurückblicken kann, eigentlich nur noch blamabel.

Varzil sieht hier das religiös motivierte Äquivalent zu den Pawlow'schen Hunden: Kaum zeigt man den Persern eine Karikatur - der Inhalt ist eigentlich schon egal -, reagieren sie mit Eifer, Geifer, Wut.

Sehr zivilisiert wirkt das nicht gerade. Aber es gibt sie, die zivilisierten Iraner mit Augenmaß:
    "...
    Liebe Iraner und Iran-stämmige,

    der Karikaturist des "Tagesspiegel" hat sich bereits für seine Zeichnung entschuldigt - im Angesicht einer Morddrohung. Es liegt nun an uns, die wir sehr gut wissen, dass bis heute weltweit Menschen für die Freiheit des Wortes und der Gedanken sterben. Wir müssen die Kraft aufbringen, uns von denjenigen zu distanzieren, die mehr Angst vor ein paar Federstrichen haben als Respekt vor Menschenleben. ..."
    (Quelle: Omid Nouripour im Forum Iran-now)

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