Mittwoch, 15. Februar 2006
BVerfG sorgt für Luftsicherheit
Schon seinerzeit hatte sich in Koriander vom 13.1.2005 die Skepsis hinsichtlich einer Novellierung des Luftsicherheitsgesetzes artikuliert.

Das Bundesverfassungsgericht sagt es jetzt ganz deutlich:
    "...
    3.Die Ermächtigung der Streitkräfte, gemäß § 14 Abs. 3 des Luftsicherheitsgesetzes durch unmittelbare Einwirkung mit Waffengewalt ein Luftfahrzeug abzuschießen, das gegen das Leben von Menschen eingesetzt werden soll, ist mit dem Recht auf Leben nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG in Verbindung mit der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG nicht vereinbar, soweit davon tatunbeteiligte Menschen an Bord des Luftfahrzeugs betroffen werden.
    (Quelle: Bundesverfassungsgericht vom 15.2.2006)
Und als ob sie nichts besseres zu tun haben, diskutiert man an dem jetzt eigentlich ausgeurteilten Sachverhalt weiter herum:
    "Nach Urteil zur Luftsicherheit: Koalition streitet über Konsequenzen
    ... Während die Union überlegt, wie Bundeswehrsoldaten für die ihnen erteilten Befehle eine verfassungsrechtlich unanfechtbare Grundlage gegeben werden kann, fordert die SPD, CDU/CSU sollten nunmehr ihre Bemühungen um einen Bundeswehreinsatz im Innern beenden. ..."
    (Quelle: Netzeitung)
Varzil findet ja auch, dass das menschliche Leben jeden Schutz wert ist. Ob es allerdings in aussichtslosen Situationen, d.h. wenn Terroristen den Passagierjet zum Absturz bringen werden, immer noch bedingungslos schützenswert ist, bezweifelt er.

Das Bundesverfassungsgericht begründet zunächst ausführlich, warum es dem Bund an einer Gesetzgebungskompetenz gemangelt habe, um sich dann aber auch den Perspektiven der Menschen an Bord zu widmen:
    "... Flugzeugbesatzung und -passagiere können diesem Handeln des Staates [gemeint ist der gezielte Abschuss des Flugzeugs] auf Grund der von ihnen in keiner Weise beherrschbaren Gegebenheiten nicht ausweichen, sondern sind ihm wehr- und hilflos ausgeliefert mit der Folge, dass sie zusammen mit dem Luftfahrzeug gezielt abgeschossen und infolgedessen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit getötet werden. Eine solche Behandlung missachtet die Betroffenen als Subjekte mit Würde und unveräußerlichen Rechten. Sie werden dadurch, dass ihre Tötung als Mittel zur Rettung anderer benutzt wird, verdinglicht und zugleich entrechtlicht; indem über ihr Leben von Staats wegen einseitig verfügt wird, wird den als Opfern selbst schutzbedürftigen Flugzeuginsassen der Wert abgesprochen, der dem Menschen um seiner selbst willen zukommt...."
    (Quelle: Bundesverfassungsgericht, im 124. Absatz des Urteils, Nummerierung rechts am Rand)
Die Lebenserwartung der Menschen an Bord zu werten, verbietet sich für den Staat:
    "...Das menschliche Leben ist die vitale Basis der Menschenwürde als tragendem Konstitutionsprinzip und oberstem Verfassungswert (vgl. BVerfGE 39, 1 <42>; 72, 105 <115>; 109, 279 <311>). Jeder Mensch besitzt als Person diese Würde, ohne Rücksicht auf seine Eigenschaften, seinen körperlichen oder geistigen Zustand, seine Leistungen und seinen sozialen Status (vgl. BVerfGE 87, 209 <228>; 96, 375 <399>). Sie kann keinem Menschen genommen werden. Verletzbar ist aber der Achtungsanspruch, der sich aus ihr ergibt (vgl. BVerfGE 87, 209 <228>). Das gilt unabhängig auch von der voraussichtlichen Dauer des individuellen menschlichen Lebens (vgl. BVerfGE 30, 173 <194> zum Anspruch des Menschen auf Achtung seiner Würde selbst nach dem Tod).
    "
    (Quelle: Bundesverfassungsgericht, im 119. Absatz des Urteils)
Dankenswert klare Worte - und beruhigend, dass es (noch) staatliche Einrichtungen gibt, die dieser Erkenntnis entsprechend zu handeln bereit sind. Wie man angesichts dieser deutlichen Worte allerdings noch über Grundgesetzänderungen spekulieren mag (s.o.), ist wohl nur noch für funktionale Analphabeten einleuchtend.

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