Montag, 16. Juni 2008
EU-Verfassung - die Dritte
varzil, 13:46h
Wie oft muss Europa eigentlich seine Fehler wiederholen, bis man daraus lernt?
Die EU besteht aus derzeit 27 Mitgliedstaaten. SIEBENUNDZWANZIG . Darin wohnen 485 Millionen Menschen. Jede Lernerfahrung braucht hier also eine Menge an Überzeugungsarbeit.
Eine politische Organisation mit so vielen Menschen braucht aber vor allem ein stabiles Fundament. Sollte man meinen. Meinen auch die Politiker und haben eine Verfassung ausgearbeitet. Die war am Votum von Franzosen und Holländern gescheitert.
Daraufhin arbeiten die Politiker den Vertrag von Lissabon (Stand Dezember 2007) aus. Der beginnt nach 11 Seiten Vorspruch so:
Aber es gibt auch (verständliche) Regelungen mit Gehalt und Gewicht, leider dem falschen Gehalt und Gewicht:
Demokratie in Europa sieht nun derzeit also so aus: 26 Staaten von 27 Staaten verzichten (aus Angst vor dem Wähler?) auf eine Volksabstimmung über den Lissabon-Vertrag und lassen in ihren Parlamenten abstimmen.
Allein die Iren lassen abstimmen, aber nicht etwa, weil sie demokratischer gesinnt sind als der Rest, sondern weil es dort vorgeschrieben ist, dass über jede Änderung von EU-Verträgen per Volksabstimmung zu entscheiden ist.
Fazit: Eine notwendige, wenn auch ziemlich verkorkste Reform wird von ca. 1.5 Millionen Wählern bewertet und mit einer Mehrheit von 110.000 Wählern abgelehnt.
Demokratie sieht eigentlich anders aus: entweder alle Wahlberechtigten (von 485 Millionen Menschen) stimmen ab. Wenn dann das gleiche Ergebnis eintritt wie jetzt, hätte es wenigstens den Vorteil, dass eine Mehrheit es so gewollt hätte. Oder man macht sich die Vorteile der repräsentativen Demokratie zu eigen und lässt gewählte Vertreter wie zum Beispiel das Europäische Parlament abstimmen.
So aber ist das alles Murks:
Der Vertrag ist Murks: Schon vom Wortlaut her ist er ungeeignet, ihn zum Gegenstand einer Volksabstimmung zu machen. Erwägungsgründe muss man sicherlich sorgfältig auflisten, aber wenn man die Änderung der Reihenfolge, die sich durch das Einfügen eines Erwägungsgrundes zwangsläufig ergibt, dann noch vertraglich bestätigen muss, ist was grundsätzlich faul.
Das Verfahren ist Murks: Eine Minderheit von jetzt letztlich 110.000 Menschen kann eine eigentlich notwendige Reform blockieren. Demokratie geht anders, siehe oben.
Das Ergebnis ist Murks: Es ist nämlich ein fauler Kompromiss zwischen einem überstaatlichen Konglomerat und pseudo-demokratischen Prozeduren.
Und was meint die französische und die deutsche Staatsführung zu dem Debakel:
Die EU besteht aus derzeit 27 Mitgliedstaaten. SIEBENUNDZWANZIG . Darin wohnen 485 Millionen Menschen. Jede Lernerfahrung braucht hier also eine Menge an Überzeugungsarbeit.
Eine politische Organisation mit so vielen Menschen braucht aber vor allem ein stabiles Fundament. Sollte man meinen. Meinen auch die Politiker und haben eine Verfassung ausgearbeitet. Die war am Votum von Franzosen und Holländern gescheitert.
Daraufhin arbeiten die Politiker den Vertrag von Lissabon (Stand Dezember 2007) aus. Der beginnt nach 11 Seiten Vorspruch so:
ÄNDERUNGEN DES VERTRAGS ÜBER DIE EUROPÄISCHE UNION UND DES VERTRAGSEs folgen noch weitere 276 Seiten. Nett, wie sorgfältig die Reihenfolge der Erwägungsgründe hier eingangs umnummeriert ist - ein Musterbeispiel für Verständlichkeit ist das allerdings nicht. Das wäre bei EU-Texten aber auch eine Überraschung.
ZUR GRÜNDUNG DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFT
ARTIKEL 1
Der Vertrag über die Europäische Union wird nach Maßgabe dieses Artikels geändert.
1) Die Präambel wird wie folgt geändert:
a) Folgender Wortlaut wird als zweiter Erwägungsgrund eingefügt:
"SCHÖPFEND aus dem kulturellen, religiösen und humanistischen Erbe Europas, aus dem sich die unverletzlichen und unveräußerlichen Rechte des Menschen sowie Freiheit, Demokratie, Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit als universelle Werte entwickelt haben,".
b) Im siebten Erwägungsgrund, der achter Erwägungsgrund wird, werden die Worte "mit diesem Vertrag" durch die Worte "mit diesem Vertrag und dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union" ersetzt.
c) Im elften Erwägungsgrund, der zwölfter Erwägungsgrund wird, werden die Worte "dieses Vertrags" durch die Worte "dieses Vertrags und des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union" ersetzt. ..."
(Quelle:Vertrag von Lissabon)
Aber es gibt auch (verständliche) Regelungen mit Gehalt und Gewicht, leider dem falschen Gehalt und Gewicht:
"ARTIKEL 9cHier gibt es von der Formulierung her nichts auszusetzen. Aber! Was steht denn da tatsächlich? "Der Rat und das Parlament gemeinsam ...". Parlament versteht man, aber "Rat"? Wer nicht sofort versteht, was der "Rat" ist, dem geht es ähnlich wie dem Autor.
(1) Der Rat wird gemeinsam mit dem Europäischen Parlament als Gesetzgeber tätig und übt gemeinsam mit ihm die Haushaltsbefugnisse aus. ...
(Quelle:Vertrag von Lissabon)
"Der Rat der Europäischen Union (umgangssprachlich (EU-)Ministerrat, laut Vertragstext einfach Rat) ist das wichtigste Entscheidungsorgan der Europäischen Gemeinschaft....Der "Rat" hat offenbar gewisse Ähnlichkeiten mit der Dreifaltigkeit: er ist eine Einheit, aber es gibt ihn in 8 Ausfaltungen. Ach ja, und Gesetzgebung und Budgetrecht macht er auch noch. Erinnern wir uns doch mal an die Grundzüge der Staatsbürgerkunde:
Seine Mitglieder (Minister) sind in ihren Mitgliedsstaaten aber Teil der Exekutive (der nationalen Regierungen). Dies ist ein Beispiel für Exekutivföderalismus. Kritiker sehen darin jedoch einen Widerspruch zum Prinzip der Gewaltenteilung und einen Grund für die empfundene Bürokratie und mangelnde Volksnähe bzw. das Demokratiedefizit der EU.
...Der Rat ist ein einheitliches Organ, tritt aber aufgrund der unterschiedlichen Politikbereiche in unterschiedlichen Formationen zusammen. Seit 2002 sind dies die folgenden:(Quelle: Wikipedia zu Rat der Europäischen Union)
- Allgemeiner Rat und Außenbeziehungen (engl. GAERC)
- Rat für Wirtschaft und Finanzen (Ecofin)
- Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres
- Beschäftigung, Sozialpolitik, Gesundheit und Verbraucherschutz (BeSoGeKo)
- Rat für Wettbewerbsfähigkeit
- Umwelt
- Bildung, Jugend und Kultur
- Verkehr, Telekommunikation und Energie
- Landwirtschaft und Fischerei
In demokratischen Staaten übt das Parlament außer der Gesetzgebung auch das Budgetrecht und die Kontrolle der Regierung aus.Das Parlament! Und nicht etwa ein Rat aus Regierungsmitgliedern.
(Quelle: Wikipedia zu Parlament)
Demokratie in Europa sieht nun derzeit also so aus: 26 Staaten von 27 Staaten verzichten (aus Angst vor dem Wähler?) auf eine Volksabstimmung über den Lissabon-Vertrag und lassen in ihren Parlamenten abstimmen.
Allein die Iren lassen abstimmen, aber nicht etwa, weil sie demokratischer gesinnt sind als der Rest, sondern weil es dort vorgeschrieben ist, dass über jede Änderung von EU-Verträgen per Volksabstimmung zu entscheiden ist.
Fazit: Eine notwendige, wenn auch ziemlich verkorkste Reform wird von ca. 1.5 Millionen Wählern bewertet und mit einer Mehrheit von 110.000 Wählern abgelehnt.
Demokratie sieht eigentlich anders aus: entweder alle Wahlberechtigten (von 485 Millionen Menschen) stimmen ab. Wenn dann das gleiche Ergebnis eintritt wie jetzt, hätte es wenigstens den Vorteil, dass eine Mehrheit es so gewollt hätte. Oder man macht sich die Vorteile der repräsentativen Demokratie zu eigen und lässt gewählte Vertreter wie zum Beispiel das Europäische Parlament abstimmen.
So aber ist das alles Murks:
Der Vertrag ist Murks: Schon vom Wortlaut her ist er ungeeignet, ihn zum Gegenstand einer Volksabstimmung zu machen. Erwägungsgründe muss man sicherlich sorgfältig auflisten, aber wenn man die Änderung der Reihenfolge, die sich durch das Einfügen eines Erwägungsgrundes zwangsläufig ergibt, dann noch vertraglich bestätigen muss, ist was grundsätzlich faul.
Das Verfahren ist Murks: Eine Minderheit von jetzt letztlich 110.000 Menschen kann eine eigentlich notwendige Reform blockieren. Demokratie geht anders, siehe oben.
Das Ergebnis ist Murks: Es ist nämlich ein fauler Kompromiss zwischen einem überstaatlichen Konglomerat und pseudo-demokratischen Prozeduren.
Und was meint die französische und die deutsche Staatsführung zu dem Debakel:
Gemeinsame Presseerklärung von Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy zum Ausgang des irischen Referendums über den Vertrag von Lissabon vom 12. Juni 2008Die neue alte europäische Perspektive heißt: "Weiter so"! Armes Europa.
...Der irische Ministerpräsident hat uns über die Ergebnisse des Referendums informiert und wir erwarten, dass er die genauen Ursachen der Ablehnung des Vertrags durch die irische Bevölkerung beim Europäischen Rat am 19. und 20. Juni 2008 erläutert. Der Europäische Rat wird daraus die nötigen Schlüsse ziehen.
Die Staats- und Regierungschefs aller 27 Mitgliedstaaten haben den Vertrag von Lissabon unterzeichnet, und in 18 Mitgliedstaaten ist die Ratifizierung bereits abgeschlossen. Wir erwarten daher, dass die anderen Mitgliedstaaten ihre innerstaatlichen Ratifizierungsverfahren weiterführen.
(Quelle: Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
PRESSEMITTEILUNG NR.: 213)
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